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Ich bin ein langjähriger Angstpatient und möchte nun einmal versuchen, hier mein Feedback in Richtung Psychotherapie zu geben, weil ich nach unzähligen Kontakten mit Menschen immer mehr das Gefühl habe, daß in der Angsttherapie hier einiges Grundlegendes schief läuft.
Ich möchte damit niemand zu nahe treten, aber andererseits habe ich noch nicht ganz die Illusion verloren, daß man in dieser Richtung etwas Positives bewirken kann.

Dazu sagen sollte ich noch, daß ich persönlich schon mehrere Therapien mehrerer PT-Richtungen hinter mir habe - mit dem nach Jahren einzigen Effekt, daß meine Angst danach größer denn je war. Und ich glaube fast, hätte ich selbst damals keinen Schlußstrich gezogen, würde ich noch immer dort sitzen und könnte vermutlich nicht einmal mehr das Haus verlassen.
Mein Zustand hat sich erst verbessert, als ich nach den Therapien begonnen habe deren Inhalte und Methodik komplett umzukehren - eigentlich kann ich es nicht anders beschreiben. Man könnte fast sagen, ich habe in den Therapien gelernt, wie es sicherlich nicht funktioniert.

Ich versuche es mal, das zusammenzufassen, was ich aus eigener Erfahrung und der Erfahrung unzähliger anderer Betroffener einfach nicht verstehen kann:
Wieso strebt die PT an, Angst in den Griff zu bekommen und zu kontrollieren, obwohl das Grundproblem eines Angstpatienten ist, daß er über alles Kontrolle haben will (nicht zuletzt über seine Angst) ?

Wieso dauern PTs bei Angstpatienten teilweise Jahre, wenn es einer der Grundprobleme bei Angstpatienten ist, daß sie sich mit ihrer Angst beschäftigen bzw. diese Beschäftigung die Angst geradezu induziert ? Eine Therapie sollte ja dazu da sein, daß man die Angst mindert oder löst und nicht dazu, daß man sie jahrelang pflegt, wobei ich hier schon alleine die Dauer höchst problematisch sehe.

Wieso wird der Ansatz verfolgt, daß man Angst mit dem Verstand auflösen könnte ?
Die meisten Patienten wissen längst vor einer Therapie, daß ihre Angst übertrieben oder unbegründet ist - sie wird also nicht dadurch kleiner, indem man sich logisch erklärt, daß sie übertrieben oder unbegründet ist oder logische Gedanken und Bewertungen verknüpft.

Wieso besteht jede PT aus soviel Analyse (welche die Patienten ohnehin teilweise schon in und auswendig kennen, bevor sie eine PT aufsuchen) und in sowenig konkreten Lösungsansätzen ?

Und last but not least: Wieso erfährt man in einer Therapie nirgendwo, wie man ganz konkret mit Angst umgehen kann ?
(Anm. Hier gibt es schon einen thread mit der Frage nach dem wie - jedoch ist dieser m.M. nach nicht wirklich beantwortet worden - vielleicht auch, weil die Frage gar nicht richtig verstanden wurde.
Beispiel: Daß sich ein Angstpatient konfrontieren muß weiß er z.B. selbst auch und das tut er auch, weil er teils sogar gar nicht darum herumkommt.
Die Frage ist aber: Wie soll er das tun ? Wie soll er mit der Angst ganz konkret umgehen ? Und auch interessant: Wie soll er sich überhaupt mit Ängsten konfrontieren, die keine Situation oder kein Objekt darstellen ? (und eine der entscheidensten Ängste ist nun mal z.B. in dieser Hinsicht die Angst vor der Angst, die alles andere erst induziert.)

15.10.2008 01:50 • 22.10.2008 #1


1 Antwort ↓

B
Hallo winston,

das ist ja mal ein Rundumschlag gegen die Therapie. Leider gibt es DIE Therapie auch bei Angststörungen nicht, weil der Kopf bzw. richtiger das Gehirn jedes Menschen etwas Einzigartiges und damit jede Angst auch etwas sehr Individuelles ist.

Ich gebe Dir in vielen Punkten Deiner Kritik aber in sofern recht, dass in vielen Therapien meist die Vorlieben und das Handwerkszeug des jeweiligen Therapeuten oder der Therapeutin die Therapie oft mehr bestimmen als das wissenschaftlich gesicherte Wissen und Handeln bei Angststörungen - und das ist nun mal die Kombination aus gedanklich-imaginativen Techniken zusammen mit Angstkonfrontation. Diese Techniken müssen allerdings dann gezielt und auf den jeweiligen Patienten bezogen angewendet werden und geben trotzdem keine Garantie, dass die Wirkung erzielt wird, die man sich wünscht, weil die Abläufe sehr kompliziert sein können und vieles unberücksichtigt bleibt, weil man es gar nicht herausfindet. Trotzdem kann ich für die meisten Kollegen und Kolleginnen in Anspruch nehmen, das sie ihr Bestes geben, um dem einzelnen Patienten weiter zu helfen. Und wir haben alle nicht die perfekte Vorgehensweise zur Verfügung !

Somit ist die Wissenschaft der Therapie eine weiche Wissenschaft und kann mit Naturgesetzmäßigkeiten allein nicht erklärt werden.

Noch kurz zu Deinen inhaltlichen Bemerkungen: Die Veränderung von unrealistischen zu realistischen Gedanken IN DER AUSLÖSENDEN SITUATION ist ein wichtiger Prozess. Natürlich weiß jeder Patient, dass er unrealistisch und übertreibend Gefahr in eine Situation projeziert und damit Angst auslöst. Trotzdem denkt er in diesem Moment doch genau die angstauslösenden Gedanken - und es ist wichtig und oft auch schwer schwer, eine veränderte Einstellung EINZUÜBEN, damit eine neue Einstellung IN der Situation überhaupt wirksam werden kann.

Angst kontrollieren: da hast Du völlig recht mit Deinem Einwand - nicht die Kontrolle der Angst ist wichtig, weil die Angst nicht das Problem ist, aber so empfunden wird. Wichtig ist das Zulassen und das veränderte Umgehen mit der Angst - ohne Flucht und Vermeidung. Trotzdem kann es ein wichtiges Ziel sein, erst einmal das Gefühl wieder zu erleben, Kontrolle insofern zu haben, dass ich der Angst nicht einfach nur ausgeliefert bin.

Angstkonfrontation - natürlich ist es wichtig, dabei Anleitung und Unterstützung zu erhalten, wie ich mich mit der Angst und den auslösenden Situationen konfrontieren sollte, damit ein veränderter Lerneffekt entsteht. Das muss natürlich Teil einer Therapie sein.

Und nicht zu vergessen - wenn die Angst weniger wird, bleibt manchmal noch immer die Frage: gibt es noch andere Faktoren im Leben des Einzelnen, die ihn weiter gefährden. Weshalb hat er die übertriebene Angst gelernt und weshalb und wodurch wirkt sie noch heute? Auch das sollte bearbeitet werden - gelingt aber auch nicht immer.
Weder Patienten noch Therapeuten sind perfekt oder Roboter. Manchmal muss man auch mit kleinen Schritten zufrieden sein, die die Lebensqualität verbessern, weil die Veränderung einer ganzen Persönlichkeit wohl eher Illusion als konkretes Ziel sein kann.

Also gehe nicht so hart ins Gericht mit Psychotherapie - das ist kein Allheilmittel und noch viel weniger eine Versicherung für ewiges Glück, sondern die Begegnung von Menschen mit dem Ziel der Unterstützung und Verbesserung einer Lebenssituation ohne 100% Garantie. Und dabei sollte man die Wichtigkeit der zwischenmenschlichen Beziehung höher ansetzen wie spezielle Methoden. Auch das lehrt uns die Wissenschaft - die Interaktion in der Therapie, die Beziehungsqualität zwischen Therapeut und Patient ist mit entscheidend.

Ich habe Dir so ausführlich geantwortet, weil ich nicht möchte, dass Menschen entmutigt werden, weil jede Therapie Mist sei. Dies ist nicht so, auch wenn im Einzelfall - wie bei Dir wohl geschehen - Therapie, auch mehrfach, nicht automatisch zum Ziel führt. Auch Scheitern oder Nicht-Weiterkommen geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern kann uns helfen, mehr über uns zu erfahren und neue Entwicklungsmöglichkeiten zu finden. Irgendwie scheint das ja auch bei Dir passiert zu sein, da es Dir - wie Du sagst - ohne Therapie besser geht als mit Therapie - und das freut mich für Dich ! Aber es wäre ein großer Fehler, dies zu verallgemeinern.

Herzlichen Gruß

Bernd Remelius

22.10.2008 17:06 • #2





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