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J
Hallo Bernd,
vielen Dank für Deine Stellungnahme vom 9.10. zu meiner Anfrage vom 30.9.
Das war ja meine Hoffnung, daß ein Fachmann mal ein Auge auf mein Problem wirft und auch einiges zwischen den Zeilen zu lesen vermag. In der Tat hat mich Deine Antwort nachdenklich gemacht. An einigen Punkten möchte ich nun doch noch mal einhaken.
Therapien und nervenärztliche Behandlungen hatte ich wegen Ängsten und Depressionen, auch Eheproblemen; und in den letzten Jahren kristallisierte sich immer mehr der Faktor Alleinsein / Einsamkeit heraus.
Wie gesagt, ich war schon immer viel allein und habe darunter auch früher schon gelitten, aber nicht so sehr wie heute. Früher war ich noch mehr verträumt und habe in mich hinein gelebt durch Phantasie, durch Musik, oder innere Selbstgespräche oder Gespräche mit imaginären Menschen. Das gelingt mir heute kaum mehr. Vollends vereinsamt bin ich während eines 10-jährigen Studiums, danach habe ich einen anderen Beruf erlernt (ich arbeite also erst ca. 10 Jahre), und vielleicht weil ich durch den Beruf und durch meine recht bodenständige Frau etwas mehr im Leben stehe, wird mir das Alleinsein umso schmerzlicher bewusst.
Es ist also weniger die Erwartung der Umwelt, die ich halbherzig erfüllen will und auch weniger mein Blick auf die Umwelt, wie man bitteschön zu leben hat. Meiner Umwelt ist das furchtbar egal, nur meine Frau ermutigt mich, unter die Leute zu gehen; sie könne nicht meine ganze Einsamkeit auffangen. Womit sich recht hat, und bin ich auch keiner, der klammert. Sie drängt mich auch nicht, möchte aber eigentlich einen ganz normalen Mann haben, der mit sich und seiner Umgebung klarkommt, Freunde hat usw., keinen Freak halt, der immer nur allein und meist depressiv ist.
Es stimmt schon, ich war schon immer ein Einzelgänger, bevorzuge einen ganz ruhigen Lebensstil und bin wirklich kein Freund von Action. Unstestes Leben, hordenweise Leute um mich herum und dauernd was los nervt mich ebenso wie ständiges Telefongebimmel und irgendwas unternehmen müssen. Also irgendwo so ein Typ laßt mir mein B., laßt mir meine Ruhe. Ich denke manchmal: eine hinreichend harmonische Zweierbeziehung, ein Paar Freunde / Bekannte / Verwandte (müssen nicht viele sein) und ich wäre hochzufrieden. Das habe ich alles nicht.
Aber auch ich sehne mich schmerzlich nach Kontakten, nach Austausch, nach menschglicher Wärme, Wertschätzung und Anerkennung. Und diese Sehnsucht erlebe ich immer stärker und mächtiger. DAS ist jenes, was mich zerreißt: Es gibt die eine, sehr starke und mächtige Seite in mir, die des überaus ruhigen, geradezu phlegmatischen Menschen, was insoweit auch in Ordnung ist. Und wenn ich nun die andere Seite, die Sehnsucht, befriedigen will, stoße ich umgehend auf meine Grenzen: Ich habe kein Selbstvertrauen, kann dieses Small-Talk nicht (habe ich halt nie gelernt oder lernen müssen) und wegen der obigen starken Seite habe ich auch kaum was zu erzählen, weil ich auch kaum was erlebe. Und mir fehlt auch einfach die Neugier, das echte Interesse und erst recht die Begeisterung, irgendwo hinzugehen und irgendwas mitzumachen. WEIL ich eben sehr ruhig und häuslich lebe, am liebsten ein Buch lese oder schöne Musik höre, aber auch gerne spazieren und wandern gehe oder mich bei einem schönen Essen unterhalte mit (jeweils) einem Menschen, den ich mag und der mich mag. Die Partnerin halt, oder ein guter Freund. Nicht in einer Gruppe. Ich überlege schon immer, was kannst du machen, wie stellst du es an? Klar war der Gitarrenkurs halbherzig, und andere Dinge wären es auch. Warum soll ich mich zB. für Briefmarkensammeln für Fortgeschrittene anmelden, wenn mich das keinen Deut interessiert? Und die Chance, Kontakte zu kriegen, ohnehin verschwindend gering ist?
Leider bin ich nicht der von Dir erwähnte Naturforscher. Schön wäre das ja... Wenn ich daran denke, daß ich bald jeden Tag alleine bin und sich meine Kontakte auf ein, zwei Arbeitskollegen beschränke, wird mir ganz schlecht. Dabei ist das Verhältnis zu meiner Noch-Frau alles andere als ungetrübt.
Ich bitte nochmals um Deine Stellungnahme. Vielen Dank im Voraus.
Jens

12.10.2008 11:47 • 13.10.2008 #1


1 Antwort ↓

B
Hallo Jens,

vielen Dank für Deine Ergänzungen, die doch einiges in ein anderes Licht rücken. Aus mir nicht bekannten Gründen, die sicher in Deiner Lebensgeschichte liegen, scheint Deine Zurückhaltung, Deine soziale Isolation und die wenigen Interessen, die Du hast, doch eher ein umfassendes Vermeidungsmuster zwischenmenschlicher Kontakte und eventuell auch emotionaler Bindung zu sein. Dies besteht wohl schon viele Jahre, ist eher so etwas wie Deine Persönlichkeit geworden und deshalb ein sehr umfassendes inneres Muster von Dir. Und Du leidest inzwischen zunehmend darunter.

Das hat aber auch etwas Gutes: wenn Du einen zunehmenden Leidensdruck verspürst, wird auch die Motivation wachsen, etwas dagegen zu tun. Und das musst Du dann auch, etwas TUN - Schritt für Schritt, in kleinen Portionen, weil eine Veränderung immer das sehr umfassende Muster angreift und Veränderung dann meist auch Angst auslöst.

Um zu einer solchen Veränderung zu kommen, ist ein Ratschlag meinerseits in einem solchen Rahmen wie dem Expertenforum sicherlich nicht ausreichend. Da brauchst Du längerfristige Unterstützung und Hilfe. Deshalb würde ich Dir als erstens empfehlen, erneut eine psychotherapeutische Behandlung (also nicht nur durch einen Psychiater !) in Angriff zu nehmen.

Sicherlich kannst Du zusätzlich auch selbst schon mit einzelnen Schritten beginnen, die ich in meiner ersten Antwort schon angedeutet habe und die Dich vielleicht neue Erfahrungen machen lassen. Du musst also gerade in Bezug auf soziale Beziehungen viele Erfahrungen nachholen, die andere sehr viel früher gemacht haben - schwierig, aber machbar ! Deshalb musst Du da auch am Ball bleiben, es immer wieder versuchen, auch wenn die Erfolge zuerst klein sein werden. Wichtig ist nicht der große Erfolg, sondern überhaupt viele Erfahrungen zu machen !
Übrigens ganz wichtig: Interessen hat man nicht, oder hat sie nicht ! Interessen entwickelt man, in dem man vieles ernsthaft probiert und erst über die Erfahrung merkt, ob dies etwas für einen ist oder nicht.

Als weitere Hilfe schaue Dich bitte in den Informationen, aber besonders auch unter den Videos der site : https://www.psychic.de/agoraphobie-video.php um - unter den Informationen, die Dich selbst betreffen.

Ich wünsche Dir auf jeden Fall, dass Du den Leidensdruck, den Du immer mehr hast, als Motivation nutzen kannst, aktiv für eine Veränderung zu kämpfen. Dann wird auch Hilfe, die Du Dir holen solltest, auf fruchtbaren Boden fallen.

Herzlichen Gruß

Bernd Remelius

13.10.2008 16:05 • #2





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