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Gerade sitze ich bei gekipptem Fenster auf der Couch. Draußen mindestens zehn Grad. Ich höre sogar schon Motorräder. Die Luft ist ganz anders. Der Schnee ist weg.

Und ich habe jetzt schon Angst. Angst vor dem Frühling und dem Sommer.
Dann ist es wieder warm. Alle gehen raus. Hitze. Sonnenschein. Alle liegen am See. Alle gehen Eis essen oder ins Schwimmbad.

Und ich? Soll ich wieder einen Sommer alleine drin sitzen?

Und wieder Streit mit meinem Mann haben, der beim kleinsten Sonnenstrahl raus rennt? Weil ich Angst habe? Und nicht raus will?

Letzte Jahr habe ich einen Tierpark raus gesucht. 80 km weit weg. Wir fuhren dahin. Dann der Schock: Das war in einem Wald! Das Restaurant dort hatte zu. Es gab kein Klo. Nur im Wald ein Dixiklo. Man musste kilometerweit durch den Wald stapfen. Nur Bäume. Keine Sicht auf einen Ausgang. Ich hatte so eine Panik. Ich saß dort auf einer Bank und zitterte. Die Leute starrten mich an und hörten den Streit, den ich mit meinem Mann hatte.

Ich dachte: Wie soll jetzt hier in den Wald ein Krankenwagen kommen, wenn ich hier umfalle? Ich dachte, ich werde verrückt. Auf einmal entdeckte ich eine Seilbahn. Ich fragte sofort einen Mitarbeiter, wo die hin führt. Der meinte, dass diese Sesselbahn (sehr gefährlich anmutend und nicht gerade vertrauenserweckend) über einen steilen Hang durch den Wald direkt (!) zum Ausgang fahren würde.

Ich bin daraufhin in einen der Sessel gesprungen, habe meinen zeternden Mann stehen lassen und bin, meine Handtasche untern Arm geklemmt, in größter Todesangst und mit geschlossenen Augen zum Ausgang gefahren. Ihr könnt euch ungefähr ausmalen wie mein Mann getobt hat als er irgendwann auch dort eintraf? Das hält er mir nun vor.

Ebenso den Vorfall als ich aus dem Baumarkt, in dem mein gnädiger Mann einen Großeinkauf startete, fluchtartig verlassen habe...

Das hält er mir ebenso unter die Nase wie die Tage, an denen ich nicht in Geschäfte rein bin und im Auto blieb. Und die Tage, an denen er allein raus ist und ich bei 30 Grad im Wohnzimmer bei runter gezogenen Rollos saß.

Mittlerweile sagt er dann schon oft: Ach, besser, du bleibst direkt hier. Dir geht es ja ohnehin wieder nur nicht gut und dann können wir hinterher wieder umdrehen wegen dir...

Natürlich hält er mir bei der Gelegenheit auch unter die Nase bei welchen Ärzten ich schon war und wie oft ich ihn panisch angerufen habe.

Ich denke mit Schrecken daran, dass das Wetter gut werden könnte. Dann wollen wieder alle raus. Und ich muss womöglich wieder allein ausharren. Geht es euch auch so?

Der Winter bietet so eine gute Ausrede.

29.01.2013 16:32 • 31.01.2013 #1


1 Antwort ↓

Liebe Aladin,

ich möchte Dich mal mit dem nick anschreiben...

Wie alle hier wissen, leide auch ich unter Angst. Es war so schlimm, daß ich nicht mal aus der Haustüre gehen konnte, bis ich meinen jetzigen Lebensgefährten kennenlernt habe vor drei einhalb Jahren. Ich stand irgendwann vor der Wahl - mit ihm in die böse Welt hinausgehen - oder ihn gleich wieder zu verlieren.

Ich entschied mich für die erste Variante- und zwar die Ar*chbacken zusammenzukneifen und mit ihm `raus zu gehen. Erst in ein Einkaufscenter, dann immer weiter weg, bis wir vier Monate! nach unserem Kennenlernen zusammen zwei Wochen nach Ägypten geflogen sind. Erster Flug eine Stunde - umsteigen in einen Flieger mit 400 Plätzen, der voll war, fünf Stunden Flug - wenn er pünktlich gewesen wäre.. .. Drei Stunden in Menschenmassen in Hurghada bei der Einreise.

Warum ich das schreibe? Weil ich diesen Mann damals schon liebte, und Liebe bringt so einiges zu Stande. Nach diesem Urlaub hatte ich mit ihm zusammen vor nichts und niemandem mehr Angst. Wir fliegen zwei Mal im Jahr an unbekannte Orte, machen Kreuzfahrten, wo normale Menschen schon Angst bekommen, in der Unendlichkeit der Meere. Es kratzt mich nicht mehr an seiner Seite.

Liebe Aladin, man kann lernen in die Welt hinauszugehen, wenn schon (noch) nicht alleine, dann wenigstens mit Deinem Mann. Raff Dich ihm zu Liebe auf, dann brauchst Du keine Ausreden. Die hatte ich auch immer parat. Jetzt brauche ich es nicht mehr. Ich genieße es, mit meinem LG Ausflüge zu machen.

Ich bin noch lange nicht da, wohin ich will, nämlich alleine zu bleiben, aber ich bin auf einem guten Weg. Eine Weile lang habe ich hier auch so ziemlich alles abgelehnt, was mir hier geraten wurde, aber - es geht nicht anders, als selber in die Füße zu kommen. Ich bin in Therapie, und komme voran. Langsam und stetig. Es erfordert Geduld. Und Einsicht, die Dir, liebe Aladin, noch fehlt. Ohne Hilfe wirst Du nicht aus der Angst finden. Mit Jammern und Selbstmitleid wird es nichts. Auch ich habe vor Monaten alles abgelehnt, der Therapie nicht vertraut, aber es wirkt, dauert nur. Man kann keine Wunder erwarten. Ich erkenne mich in Deinem Post so wieder - so war ich auch mal - immer Ausreden gesucht, warum ich wo nicht mitkann.. Glaube mir, es ist Streß pur. Und wenn Du schon Streß und Streit hast, kannst Du Deine Energie, die das verbraucht, auch zum Kämpfen benutzen..

Um Deine Frage zu beantworten: Nein, mir geht es nicht so. Ich habe mich aufgerafft und freue mich auf jeden Sonnenstrahl, den wir draußen genießen können. Ich freue mich auf riesige Eisbecher mit Sahne, die fett machen.

Aladin, mach`Dich endlich auf den Weg, mache eine Therapie mal ganz zu Ende, wie willst Du denn ohne Deinen Mann weitermachen?

Liebe Grüße,

Worrylein, die auch immer noch kämpft..





Dr. Reinhard Pichler
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