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Liebe Forumsteilnehmer,

ich habe mich heute hier registriert, weil ich momentan das Alleinsein nur schwer aushalte. Ich bin nicht aus Deutschland, sondern aus Wien, wo ich seit über 20 Jahren lebe. Aufgewachsen bin ich am Land.

Leider hatte ich in meinem Leben schon eine Menge Probleme, habe auch Therapien gemacht und selbst viel an mir gearbeitet, was mir letztlich immer weiter geholfen hat. Meine Kindheit war davon geprägt, mit einer psychisch krankten, aber nie diagnostizierten Mutter aufzuwachsen, was sehr viel Schaden angerichtet hat. Es hat sehr lange gedauert, bis ich erkannte, dass eine Menge meiner eigenen Probleme da seinen Ursprung hat. Ich habe zwei Geschwister, allerdings hat unsere Mutter uns ständig gegeneinander ausgespielt und aufgehetzt, sodass es kaum Zusammenhalt gab und gibt. Wir haben praktisch gar keinen Kontakt mehr, seit unsere Eltern gestorben sind.

Ich habe einen Sohn, den ich alleine aufgezogen habe. Es war eine sehr schwierige und kräfteraubende Zeit, denn er war ein sehr extremes Kind: extrem intelligent, extrem willensstark, extrem emotional.

Vor 9 Jahren ist mein Sohn samt Frau und Tochter in die USA gezogen und hat entgegen seinen anfänglichen Plänen nun vor, auf Dauer dort zu bleiben, da er beruflich so tolle Möglichkeiten hat. Meine Enkelin war damals 3 Jahre alt. Mir hat es fast das Herz gebrochen, als sie weg gingen - dabei rechnete ich damals noch mit ihrem Zurückkommen.

Heute ist es so, dass wir ca. alle 14 Tage telefonieren, ich mit meiner Enkelin hin und wieder Whatsapp-Nachrichten austausche und sie meist im Sommer für 3 bis 4 Wochen nach Wien kommen. Dieses Jahr allerdings nicht (wegen Corona). Ich bin aber seit drei Jahren im Ruhestand und fühle mich nun ohne Familie komplett alleine. Es gibt keine engeren Kontakte zu Verwandten, der tägliche Kontakt zu Kollegen ist weg gefallen und obwohl ich nette, aber nur ganz lose Kontakte zu Nachbarn habe, fühle ich mich zusehends immer einsamer. Zwar habe ich einen Hund, der meinen Tag strukturiert, indem ich ja mit ihm mehrmals raus muss, doch das ist wirklich schon alles.

Corona hat die Sache natürlich absolut nicht besser gemacht, sondern schlimmer. Eigentlich hatte ich geplant, einige Kurse etc. zu belegen, was aber momentan keine Option ist. Zudem fangen langsam auch gesundheitliche Wehwehchen an, die mir große Angst machen, weil ich ja ganz auf mich gestellt bin und funktionieren muss. Zudem würde mir bei gröberen Sachen auch der menschliche Beistand sehr fehlen.

Das Ganze führt nun dazu, dass ich immer depressiver und ängstlicher werde. Wobei ich mit Angst leider schon ziemlich viele Erfahrungen habe, da ich eine mittlere Angststörung habe, die besonders in belastenden Situationen ziemlich in die Höhe gehen kann. Ich bin zwar therapieerfahren, habe aber momentan keine Therapie. Bin aber in Kontakt mit einer früheren Therapeutin, die jedoch zur Zeit keinen freien Platz hat.

Wo ich eigentlich hin möchte, ist eine echte Akzeptanz meiner Lebensumstände und das beste daraus zu machen. Da ich viele Interessen habe - auch solche, die man zu Hause ausleben kann (künstlerisch z.B.) - und wirklich nette Nachbarn im Haus, die auch bei manchen Dingen helfen (handwerklich) und ringsum besonders duch die Hundespaziergänge viele Small Talk-Kontakte habe, müsst es doch möglich sein.

Aber leider ist es mir zur Zeit eben nicht möglich, weil es mir nur schlechter und schlechter geht. Ich glaube, einen großen Anteil daran haben fehlende engere Bezugspersonen, es ist so unendlich schwer für mich, niemand zu haben, zu dem ich Zugehörigkeit verspüre. Als mein Sohn noch hier lebte, war mir das genug, auch wenn wir uns gar nicht so oft trafen, aber im Hinterkopf wusste ich, da ist jemand. Das fehlt mir jetzt einfach immer stärker und mir gruselt schon vor dem kommenden Winter, erst recht, wenn durch die Pandemie wieder alles so eingeschränkt wird.

Ich hoffe, der Text war nicht zu lange und würde mich über jedes aufbauende Wort freuen!
Danay

13.09.2020 19:38 • 04.10.2020 x 2 #1


P
Man könnte jetzt sagen geh in Vereine und lerne neue Leute kennen, aber ich weiß, wie schwierig das ist. Und wie lange es vermutlich dauert, bis Menschen wirklich zu Bezugspersonen werden. Dein Text macht mich traurig und ich kann mir sehr gut vorstellen, wie du dich gerade fühlst, dadurch, dass da niemand mehr ist. Fühl' dich umarmt, du bist mit dem Problem nicht allein. Ist eine doofe Situation. Vielleicht gelingt es dir, dankbar auf die Zeit zurückzuschauen, in der du nicht einsam warst und jetzt doch zu versuchen, lösungsorientiert zu handeln. Schau mal, was man in der Umgebung Ehrenamtliches machen kann. Das bringt zumindest etwas Ablenkung, nette Kontakte und neuen Schwung. Warte nicht, bis du zu depressiv bist, um noch irgendetwas zu verändern. Auch, wenn dadurch noch keine Bezugsperson in deinem Leben ist, kannst du vielleicht vorerst Abstand von dem Gedanken nehmen, so jemanden zu brauchen, und neue Wege gehen, die vielleicht erst einmal nur lockere Bekanntschaften bedeuten? Liebe Grüße 3

13.09.2020 20:36 • x 2 #2


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Keine Bezugspersonen mehr

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Danke für deine Worte. Mir tun sie gut, einfach weil du Anteil nimmst.
Weißt du, das mit Ehrenamt, Kursen usw. geht momentan nicht. Die Coronazahlen steigen und das wird sicher noch viel schlimmer werden im Herbst und Winter. Ich kann mich jetzt nicht auf solche Dinge einlassen, weil ich mich auf keinen Fall anstecken möchte. Das wäre eine Katastrophe, selbst wenn ich nur in Quarantäne käme, könnte ich nicht mit meinem Hund raus (wer ginge dann?) und ich wäre komplett isoliert. Irgendwie muss ich mit allem zur Zeit innerlich klar kommen und Kontakte vorerst eher virtuell als direkt suchen.
LG
Danay

13.09.2020 21:36 • #3


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Zitat von Danay:
Danke für deine Worte. Mir tun sie gut, einfach weil du Anteil nimmst. Weißt du, das mit Ehrenamt, Kursen usw. geht momentan nicht. Die Coronazahlen steigen und das wird sicher noch viel schlimmer werden im Herbst und Winter. Ich kann mich jetzt nicht auf solche Dinge einlassen, weil ich mich auf keinen Fall anstecken möchte. Das wäre eine Katastrophe, selbst wenn ich nur in Quarantäne käme, könnte ich nicht mit meinem Hund raus (wer ginge dann?) und ich wäre komplett isoliert. Irgendwie muss ich mit allem zur Zeit innerlich klar kommen und Kontakte vorerst eher virtuell als direkt suchen.LGDanay


Oh, bitte verzeih', genau den Satz habe ich in deinem Beitrag überlesen. Vielleicht schaust du dich mal nach einer anderen Therapeutin (oder einem Mann natürlich..) um, zumindest für den Übergang. Das wäre immerhin etwas. Um in der Zeit ein bisschen Selbstwirksamkeit zu erleben, könntest du dich als Freelancer auf einer Plattform anmelden, deren Namen ich hier vermutlich nicht nennen darf. W.G. ist die Abkürzung. Da gibt es manchmal ganz gute Jobs, z.B. Artikel schreiben. Du musst nur schauen, dass du keinen Unterbezahlten erwischst (z.B. ewig langes Listing, in das du dich erst einarbeiten musst, mit HTML-Kodierung und so). So bekommst du für deine Leistung Anerkennung (Geld), was ein bisschen helfen könnte..

Bestimmt gibt es auch Online-Selbsthilfegruppen für Menschen, denen es zu Zeiten von Corona geht wie dir. Hast du mal überlegt, danach zu schauen? Die Meetings fänden vermutlich über Zoom statt.

13.09.2020 22:02 • x 1 #4


D
Zitat von psychoh:


Ja, ich habe mich für Oktober bezüglich einer therapeutischen Frauengruppe informiert. Muss aber noch zum Vorgespräch zur Therapeutin, die das abhält. Momentan ist noch nicht klar, ob das über Zoom oder direkt stattfinden wird - die Wahrscheinlichkeit geht allerdings Richtung Zoom. Da würde ich gerne dabei sein, mal sehen, ob das was wird. Direkt hin fahren möchte ich eher nicht, weil ich autolos lebe und mit Öffis ist es eine längere Fahrt (wieder Ansteckungsgefahr, abgesehen natürlich auch von der Gruppe). Auf jeden Fall muss ich mir wieder eine Therapeutin suchen, momentan bin ich ja mit meiner früheren im Gespräch - und einer neuen. Aber beide sind derzeit schon überbelegt und ich muss noch abwarten. Das ist wirklich schlimm mit dem Virus, ich glaube, wir hatten alle jetzt nur eine Atempause über den Sommer.

LG Danay

14.09.2020 00:47 • #5


D
Zitat von psychoh:
Bestimmt gibt es auch Online-Selbsthilfegruppen für Menschen, denen es zu Zeiten von Corona geht wie dir. Hast du mal überlegt, danach zu schauen? Die Meetings fänden vermutlich über Zoom statt.


Ja, ich habe mich für Oktober bezüglich einer therapeutischen Frauengruppe informiert. Muss aber noch zum Vorgespräch zur Therapeutin, die das abhält. Momentan ist noch nicht klar, ob das über Zoom oder direkt stattfinden wird - die Wahrscheinlichkeit geht allerdings Richtung Zoom. Da würde ich gerne dabei sein, mal sehen, ob das was wird. Direkt hin fahren möchte ich eher nicht, weil ich autolos lebe und mit Öffis ist es eine längere Fahrt (wieder Ansteckungsgefahr, abgesehen natürlich auch von der Gruppe). Wenn das nichts wird, muss ich mir unbedingt wieder eine Therapeutin suchen, momentan bin ich ja mit meiner früheren im Gespräch - und einer neuen. Aber beide haben derzeit schon etliche Erstgespräche geplant und ich muss noch abwarten. Das ist wirklich schlimm mit dem Virus, ich glaube, wir hatten alle jetzt nur eine Atempause über den Sommer.

LG Danay

14.09.2020 00:50 • #6


D
Sorry, meinen letzten Kommentar gibt es nun 2x. Wollte nur etwas ausbessern und hab da etwas falsch gemacht.

14.09.2020 08:34 • #7


By_myself
Hallo @Danay ,

ach, wie gut ich Dich verstehen kann .
Vielleicht magst Du meinen ersten Post hier im Forum einmal lesen; dort beschreibe ich ähnliche Gefühle der Einsamkeit, nachdem meine Familie verstorben ist und ich auch seit ein paar Jahren nicht mehr berufstätig bin.

Mittlerweile habe ich aber diese Einsamkeit als das Ergebnis einer -wenn auch harten- Konsequenz verbucht. Zwar kann man keine neue Familie erschaffen - aber man könnte versuchen, einen Lebensgefährten zu finden. Jedoch genau ist es das, was ich gar nicht will. Ich lebe seit nunmehr 16 Jahren allein und habe mich darauf eingerichtet, unabhängig zu sein, eigene Entscheidungen nur für mich zu treffen, mich um niemanden kümmern zu müssen. Ich will es so. Und trotzdem sind es 16 Jahre = 5.840 Tage und Nächte, in denen eine Schulter zum Anlehnen und Wärme fehlt. Ich vermisse Umarmungen, die mir eine Art Sicherheit geben könnten, und ich vermisse Austausch und ein Miteinander. Ich vermisse ein Guten Morgen und eine Gute Nacht. Und ich vermisse einen Fuß unter der Bettdecke.

Viele Jahre habe ich geglaubt, dass mir das Alleinsein nur an besonderen Tage im Jahr (an Weihnachten oder am Geburtstag) schwer fallen würde. Das tut es - aber es sind auch noch viele andere Tage und Wochen dazu gekommen. Wenn ich manchmal zuhause meine Nase ans Fenster drücke, um zuzugucken, wie hinter den gegenüber liegenden Fenstern gefeiert und beisammen gesessen wird, überkommt mich eine tiefe Traurigkeit. Ich hätte so gern auch noch eine Familie. Um so mehr kann ich verstehen, dass es Dir das Herz gebrochen hat, als Dein Sohn weit weg gezogen ist. Da hat man ein Kind - und es ist trotzdem nicht da. Man kann auch nicht wirklich an seinem Leben teilnehmen

Eine vertrauenswürdige neue Bezugsperson zu finden, ist wirklich sehr schwer. Ich habe es auch schon über diverse Freizeitaktivitäten und dergleichen versucht.
Neulich bin ich aber durch einen Zufall (dem Internet sei Dank) auf eine frühere Schulkameradin gestoßen, die ich dann auch mutig kontaktiert habe. Da war das Glück auf meiner Seite, denn sie hat sich riesig gefreut. Da sie auch alleinstehend ist, haben wir uns nun schon einige Male getroffen und alte Erinnerungen ausgetauscht und uns auch sonst gut verstanden. Ich bin ganz zuversichtlich, dass diese neue/alte Verbindung Bestand hat. Natürlich kann sie Familie nicht ersetzen. Aber vielleicht helfen Gespräche, die eigene Situation etwas besser annehmen zu können.

LG, By_myself

04.10.2020 08:42 • x 1 #8





Dr. Reinhard Pichler