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Sonnenläufer
Hallo. Zuerst mal ein frohes und angstfreieres 2018 Euch allen. Ich versuche es noch mal durch eine andere Herangehensweise, da ich festgestellt habe, dass mein ausführlicher Bericht über meinen Tagesablauf vielleicht zu abstrakt oder zu ausführlich war (ich kann ja nicht in die Köpfe der Lesenden schauen). Zumindest gab es darauf keine Reaktionen. Vielleicht werden einige denken, dass das ja doch recht typisch nach PTBS klingt. Ja, das denke ich ab und an auch, dafür müsste man aber auch das spezifische Trauma finden, was speziell diese Geräuschempfindlichkeit verursacht hat. Ich habe zumindest die Diagnose PTBS nicht, oder das ist auch in Generalisierte Angststörung enthalten (ich weiß es nicht). Das ist schwierig und dürfte auch in Zukunft schwierig sein. Gerade über Silvester habe ich wieder festgestellt, wie geräuschempfindlich ich bin, obwohl das ja irgendwie auch nicht beschreibt, was da alles in mir abgeht. Zu dem Gerumpel hier in diesem hellhörigen Haus, in dem man jedes Leben mitbekommt, kam da logischerweise noch der Krach von draußen. Wird im Draußen (jetzt nicht an Silvester) dann auch besser, ich bin da dann auch nicht so schreckhaft.

Es ist ja nicht nur das Erschrecken, es geht ja viel tiefer, es wird mir dann ja auch oft war und ich fühle mich wie getroffen. Es triggert und es bewirkt ein starkes Gefühl der Unsicherheit und des Nicht-Geschützt seins. Diese Wohnung ist kein Rückzugsort, keine meiner Wohnungen der letzten Jahre, erfüllte die Kriterien dafür. Um Voranzukommen, brauche ich meine Ruhe und die finde ich hier einfach nicht, ich höre ja bereits Chillout-Musik und versuche zu mir zu kommen, aber jedes Mal, wenn es rumpelt, dröhnt, scheppert oder wer lauter wird, bin ich sofort raus. Ich kann auch einen ganzen Tag draußen verbringen und wenn ich dann drin bin, ist die Anspannung wieder da, als hätte ich diese ruhigen Momente draußen gar nicht mit rein genommen.
Das ist so, als ob man aus dem echt schönen und erholsamen Urlaub kommt und kaum zu Hause, kracht die Realität wieder brachial ins Leben. Ich habe garantiert ein Reservat für die schönen Dinge, aber mit dem Belohnungssystem stimmt irgendwas überhaupt nicht. Gut, das kann wiederum auch an Zwängen liegen, die ja selten Pause machen.

Sich selbst mehr oder weniger dabei zu beobachten, was man für Dinge tut, um mit diesem bedrohlichen Umfeld (das macht der Kopf daraus, in meiner Wohnung ist die Bedrohung faktisch ja eher kaum bis gar nicht vorhanden), ist anstrengend, ermüdend und wenig lehrreich. Konfrontation mit den Geräuschen führt nicht zu weniger, sondern zu mehr Angst. Es ist der Angst nämlich völlig egal, ob die reale Bedrohung gegen 0 geht, wenn der Körper sich schon auf Bedrohung einstellt und Unwohlsein und Ängste die Macht übernehmen.

Ich kenne Menschen, denen hat diese Konfrontationstherapie wirklich geholfen, für mich ist aber quasi jedes Geräusch neu. Ich kann nicht sagen: Ha, das kenne ich schon von gestern!
Ich kann das schon sagen, es bewirkt aber keine Verbesserung. Ich denke, es hat AUCH was mit einer gefühlten Entwurzelung zu tun. Ich habe vor Jahren die Stadt verlassen, in der ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe und ich merkte nach dem Verlassen erst, dass das ein Fehler war.

Bislang habe ich es aber noch nicht geschafft, wieder dorthin zu begeben, sondern befinde mich auf einer chaotischen Odyssee und da kommt man natürlich auch nicht zur Ruhe. Aufgrund der aktuellen Wohnungssituation und Hartz-4-Bezug, habe ich auch nicht die freie Wohnungswahl. Irgendwann musste ich auch aus meiner anderen Wohnung raus, da es einfach nicht mehr ging und dort alles vielleicht noch schlimmer gekommen wäre. So, nun sitze ich in einer Wohnung (die für die Gegend echt gut ist) und schreibe diese Worte. Ich höre Beruhigungsmusik und schreibe diese Zeilen. Derweil überlege ich schon, ob ich gleich ohne Musik dusche, usw.

Der Kopf hat permanent was zu tun.
Erschrecken bis ins Mark findet bei mir täglich statt. Ich ertrage die Stille nicht, weil es keine sichere Stille ist. Blöderweise gibt es einen Automatismus in mir, der in der Stelle immer darauf wartet, dass gleich etwas passiert. Würde ich rausfinden, was genau dieses ETWAS ist und warum danach gescannt wird, wäre ich sicher schon viel weiter. Therapie hat zumindest nicht die Antwort gebracht. Und ich mache seit langer Zeit Therapie (manche sagen sogar, dass ich schon zu lange Therapie mache). Besonders Geräusche von oben stressen mich. Da auch eigentlich jedes Geräusch, gerade rumpelt es wieder und in diesem Haus kann ich oft nicht mal zuordnen, ob das von oben, draußen oder unten kommt.

Mir wurde ja geraten Informationen zu sammeln, das würde die Ängste mindern, da ich erkennen würde, dass die Angst unbegründet ist. Das sind die Punkte, die mich an Therapie so nerven, denn das trifft nicht zu. Ich habe sogar festgestellt, dass mehr Information oft auch mehr Angst bedeutet. Zudem habe ich ein Katastrophendenken entwickelt, das hier oft Horror-Szenarien erschafft, über die mein Verstand nur mit dem Kopf schütteln kann. Die Gefühle sind mächtiger, als der Verstand. Mein Verstand verhindert Schlimmeres. Ich kann mich immer wieder erden, ich würde aber gern Schutzmechanismen entwickeln, die zumindest ab und an greifen.

Sobald ich die Kopfhörer absetze, fühle ich mich einer Stille ausgesetzt, die ich bedrohlich finde. Der Stressfaktor steigt automatisch. Ich habe auch Vergleiche, es gab Jahre, in denen ich auch mit Ängsten zu Kämpfen hatte, aber nicht mit solchen. Da habe ich Geräusche auch ganz anders wahrgenommen. Geräusche von oben habe ich überhaupt nicht wahrgenommen, wahrscheinlich, weil die Wohnung mit mehreren Menschen drin mit Geräuschen gefüllt war. Es ist zumindest auffällig, wie sehr sich meine Empfindlichkeit über die Jahre geändert hat. Ich hatte mal beim HNO-Arzt ein Gespräch mit einem hyperempfindlichen Menschen und ich konnte durchaus viele Gemeinsamkeiten zwischen uns feststellen (der musste dann auch ausziehen, da er die Geräusche nicht mehr ertrug). Ich habe auch noch eine Tür zum Wohnzimmer, die ich abschließen kann, ich kann mich also quasi sogar verschanzen (so die Theorie).

Die Geräusche kommen ja eh immer rein. Damit wir uns nicht missverstehen: ich nehme Geräusche nicht als Personen war, aber die Geräusche, die zu mir dringen, lösen halt etwas in mir aus. Viele Leute würden sich hier in der Wohnung garantiert sicherer fühlen, als draußen, das ist bei mir aber umgekehrt. Die irrationale Angst ist stärker, als die Angst draußen (wo ja wirklich mal was passieren könnte). Ich gehe auch nicht mit dem naiven Gedanken nach draußen, dass ich unverwundbar wäre. Nein, das ist absolut nicht der Fall. Hat sich auch verschoben. Vor Jahren war es noch andersrum. Dass sich etwas in mir verändert hat, zeigt auch die Wirkungslosigkeit meiner Medis von früher. Die haben damals zumindest einen Teilschutz erzeugt. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass sie gar nichts mehr bringen. Die Dosen, die ich vor kurzem probiert habe, hätten mich früher umgehauen. Woher kommt die Angst vor Geräuschen (vor allem) von oben? Das kann ich leider nicht klar beantworten. Ich habe aber auf jeden Fall in den letzten Jahrzehnten viel in mir angesammelt. Ich habe auch viele Horrorgeschichten von anderen in mir drin, die ich quasi (ungewollt) behalten habe.

Wie erkläre ich das (ist mir selbst bei Freunden nicht gelungen). Was ich erlebt habe, ist logischerweise ein Teil von mir, ich trage das Kind in mir, dass ich mal war. Einige Dinge habe ich verdrängt, manches erinnere ich schlecht bist gar nicht, anderes erinnere ich ganz gut. Das ist meine Geschichte, die wird auch immer ein Teil von mir bleiben. Durch andere Menschen, wurde ich mit deren Geschichten konfrontiert und da ich mich zuwenig geschützt habe, ist einiges von deren Geschichten auch zu meiner geworden. Mittlerweile sind das so viele Geschichten, dass schwer ermittelt werden kann, ob diese Ängste nun auf meinen Erlebnissen beruhen (also auf Ereignissen in meiner Kindheit/Jugend/Vergangenheit), oder ob es weitergegebene Ängste sind. Ich kann z.B. auch Ängste meiner Mutter in mir tragen, die ein sehr ängstlicher Mensch war (und sicher noch ist). Ich habe auch in Foren etwas mitgenommen, weil einige Lebensgeschichten durchaus Trigger enthielten, die ab und an ohne Vorwarnung kamen.

Das kann so körperliche Reaktionen hervorrufen, wie eben die Geräusche es täglich tun. Es geht oft sehr tief und ab und an lähmt es auch. Ich habe auch schon die Wohnung verlassen, wenn es zuviel wurde. Ich habe auch mal die Polizei gerufen (hat auch nichts gebracht). Als ich die Polizei rief, ist es tatsächlich mal in einer anderen Wohnung eskaliert. Laute Stimmen stressen mich, vor allem dann, wenn ich sie nicht zuordnen kann. Laut meiner Therapeutin wäre dann sicher klingel angebracht, also durch Intervention die Lage zu erkunden. Da ist dann aber eine Blockade. Ich bin mit dem Anruf bei der Polizei schon weiter gegangen, als sonst. Ich fühlte mich danach allerdings auch nicht sicherer (die Polizei hat sich auch wie die Axt im Walde benommen).

Blicke ich in meine Kindheit und Jugend zurück, erinnere ich nichts, was diese Ängste vor Geräuschen von oben erklärt. Mein Körper erinnert sich zumindest an etwas, aber es kommen keine Bilder mit (zumindest keine, die ich meiner Vergangenheit zuordnen kann).

Ich pausiere jetzt erst mal (ich werde dann sicher hier drunter weiter schreiben). Das Wetter wird besser, als verlasse ich wohl gleich mal die Wohnung.

Danke fürs Lesen. Ihr könnt mich auch gern per privater Nachricht kontaktieren, wenn Ihr mir nicht öffentlich antworten wollt.

Gruß

S.

02.01.2018 13:50 • 09.01.2018 #1


Luna70
Kann es sein, dass dir die Geräusche aus den Nachbarwohnungen Angst machen, weil du nicht überprüfen kannst, was sie ausgelöst haben? In einer Straßenbahn zum Beispiel ist ja definitiv lauter als in einer Wohnung in der du alleine lebst. Aber da kannst du (meistens zumindest) sehen, was der Auslöser für ein bestimmtes Geräusch ist.

Ein bisschen kann ich das nachvollziehen mit den Geräuschen. Bei mir läuft auch fast immer Radio oder der Fernseher und zum Einschlafen Hörbücher. Wenn bei dir aber quasi 24 Stunden rund um die Uhr Beschallung nötig ist, ist das für das Gehirn ja enorm anstrengend. Entspannungstechniken wie autogenes Training oder so gehen bei dir wahrscheinlich gar nicht?

Ich könnte mir vorstellen, dass du dir mit dem Abschirmen durch Kopfhörer letztendlich eine noch größere Empfindlichkeit antrainierst. Wie ist es denn in einer Umgebung, die fast geräuschlos ist? Das ist natürlich nicht so einfach zu finden bei uns. Aber wie ist es zum Beispiel wenn du spät abends durch relativ menschenleere Straßen gehst? Oder in einem Wald spazieren gehst? Kommt dein Kopf da ein bisschen zur Ruhe?

02.01.2018 17:59 • x 1 #2


A


So geht es mir und so geht es nicht weiter

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kopfloseshuhn
Absolut richtig luna.
Durch das permanente abschotten wird man noch empfindlicher. Hier kann man leider nur ansetzten indem man sich den geräuschen ansetzt und der möglichkeit dass es welche geben kann.
Anders herum funktioniert es leider nicht.
Zum rest weiß ich nix zu sagen

02.01.2018 18:12 • #3


Icefalki
Sehr interessant. Mein erster Gedanke ist, könnte es sein, dass du als Kind Erlebnisse hattest, die mit diesem Problem in Verbindung gebracht werden könnten? In die Richtung, zuhause muss ich auf der Hut sein?

02.01.2018 18:27 • #4


Sonnenläufer
Hallo. Sorry, ich habe in den letzten Tagen das Internet allgemein weniger benutzt, deshalb antworte ich erst jetzt. Das Dilemma mit den Kopfhörern ist mir leider bewusst, kam auch in der Therapie zur Sprache, ich kann es im Moment aber leider nicht ändern. Ich habe es öfter ohne versucht, ich erschrecke mich so heftig, das mag zwar aushaltbar sein (das ist ja laut diverser Ärzte-Aussagen aber auch fast alles, was einen nicht umbringt), ich empfinde es als zu heftig. Es kann auch das Alleinsein ein Mitverursacher sein (zumindest kann es das verstärkt haben), dem widerspricht aber wiederum, dass ich auch früher schon alleine wohnte und solche Ängste nicht auftraten, vor allem nicht diese Geräusch-Empfindlichkeit und das Triggern, was Geräusche auslösen können. Ich kann übrigens auch vom Verstand her Geräusche als ungefährlich einstufen und sie triggern trotzdem.
Ich erinnere mich bewusst an keine Ereignisse in der Kindheit/Jugend, die diese Ängste erklären würden, zudem würde ich es dann logischer finden, wenn meine aktuellen Ängste auch schon vorher aufgetaucht wären.
In die Richtung, zuhause muss ich auf der Hut sein? - das kann unbewusst sein, hätte dann ja aber auch schon in den ersten Wohnungen auftreten sollen, oder?
Das Herausfinden, was genau hier die Geräusche auslöst, ist ziemlich schwierig, da die Wände sehr gut leiten. Da kann das von unten auch mal wie von oben klingen.
Eine Erklärung habe ich (jedoch passt die auch wieder nur zum Teil): Entwurzelung. Die Wohnung ist kein sicherer Ort (mein Einzug war auch speziell chaotisch, das ist aber auch nur ein Faktor). Wenn man sich trotz abgeschlossenen Türen nicht sicher fühlt, dann trägt man das Gefühl halt in sich und hat es von einer Wohnung zur anderen mitgenommen.

Ich erkläre mir das Nichtwirken der Medis auch mit Angstveränderungen. Ich habe über Jahre immer dieses Medi genommen und es hat vor Jahren noch immer geholfen. Dann kam ich ohne Medis klar und jetzt bringt das Zeug maximal noch etwas Müdigkeit.

Entspannungstechniken würden gehen, wenn das Umfeld ruhiger wäre. Den Zen-Sitz bekomme ich wegen Gelenken nicht hin, Autogenes Training ist früher fehl geschlagen. Wenn ich meine Ruhe will, kann ich durchaus Plätze aufsuchen, wo ich nicht diesem Zusatz-Stress im Kopf ausgesetzt bin.

Wenn ich einen Tag unterwegs war (wie öfter in den letzten Tagen), dann kehre ich mit einem Unwohlsein in meine Wohnung zurück.

Hier kann man leider nur ansetzten indem man sich den geräuschen ansetzt und der möglichkeit dass es welche geben kann.
Anders herum funktioniert es leider nicht.

Also: der Verstand schätzt das Geräusch meist als harmlos ein (selbst eine Party in der Wohnung über einem, stellt ja faktisch keine Bedrohung dar), während der Kopf also diese Einschätzung vornimmt, reagiert der Körper bereits. Wenn tobende Kinder Geräusche erzeugen, die durch das Haus schallen, dann gibt der Verstand Entwarnung und die Gefühle drehen am Rad und der Körper reagiert. Da kann ich mir auch sagen Kinder sind halt laut.

Es geht um das Geräusch und nicht den Auslöser. Was wäre denn hier wirklich bedrohlich? Wenn wer versucht in meine Wohnung einzudringen., das ist das Einzige, was mir einfällt, was eine tatsächliche Bedrohung darstellen würde (und selbst dann hätte ich noch eine verschlossene Tür mehr).
Die Geräusche dringen aber die ganze Zeit in die Wohnung ein.

Aber wie ist es zum Beispiel wenn du spät abends durch relativ menschenleere Straßen gehst? Oder in einem Wald spazieren gehst? Kommt dein Kopf da ein bisschen zur Ruhe?
Ja, der kommt auch in Situationen zur Ruhe, die andere als deutlich gefährlicher einschätzen würden, als zuhause zu sitzen (was rein statistisch irgendwie jede Situation außerhalb ist, in der man auf Menschen trifft).

Ich hoffe, ich bin auf alle Antworten eingegangen.

Gruß

S.

09.01.2018 12:40 • #5





Mira Weyer