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Hallo,

bin letzte Woche als ich mal wieder in der Notfallambulanz saß über folgenden Flyer gestolpert:

http://www.uni-giessen.de/cms/fbz/fb06/ ... ncertflyer

Da bei mir bereits 2 Psychotherapeuten meinten ich wäre auf diese Art nicht therapierbar habe ich mich gerade dort für eine solche Therapie beworben.

Hat schon einer von euch von Encert gehört?
Ist eine Verhaltenstherapie der Psychotherapie überlegen? Und wenn ja - wo? Was läuft dort anders?
Und falls Encert schon jemand kennt - wo liegen hier die Vorteile gegenüber klassischer Verhaltens- und Psychotherapie?

LG

21.07.2014 18:12 • 22.07.2014 #1


Also erst einmal vorneweg auch eine (Kognitive) Verhaltenstherapie ist eine Psychotherapie.

Es gibt drei (oder 5) große Psychotherapeutische Richtungen/Schulen:

- die psychodynamischen (Psychoanalyse/Tiefenpsychologie)
- die behavioralen (Verhaltenstherapie/Kognitive Verhaltenstherapie)
- die humanistischen (Gesprächspsychotherapie/Gestalttherapie/Logotherapie/Transaktionsanalyse etc.)

- die systemische Therapie/Familientherapie rechnet man mitunter zu der humanistischen hinzu;
- die modernen Kurzzeittherapien NLP/EMDR etc. werden oft zu den behavioralen gezählt.

Bisher anerkannt sind vom wissenschaftlichen Beirat (und damit von den Krankenkassen) die Psychoanalyse, Tiefenpsychologie, Verhaltenstherapie/Kognitive Verhaltenstherapie und seit neuestem auch die Systemische (die aber noch nicht bezahlt wird, da die Dachverbände für Systemische Therapie noch keine einheitlichen Ausbildunsstandards festgesetzt haben).

Dieses neue Encert-Verfahren (Encert=Emotion Regulation Training) ist eine gemeinsame Studie verschiedener psychologischer Fachbereiche deutscher Universitäten, basierend auf der Verhaltenstherapie und richtet sich ausschließlich an Personen mit multiplen somatoformen Störungen, also solche, die nachweisbar mehrere Krankheitssymptome verspüren, für die aber keine medizinische Ursache gefunden werden kann und damit eben auch keine Behandlung. Ziel ist es die unangenehmen Krankheitsgefühle neu regulieren zu lernen, also sie anders wahrnehmen und bewerten zu können - richtiger, stimmiger, ihrem wahren Wert angemessen - und mit ihnen umgehen lernen.

Im Rahmen der neuen Therapie-Variante sollen die Probanden nun über eine Verhaltenstherapie Möglichkeiten erlernen, wie sie mit den Symptomen besser umgehen können, z.B. indem sie

- auf kognitiver Ebene gesundheitlich aufklären und helfen vermeintliche Symptome richtig zu deuten (im Sinne von nicht jeder Bauchkrampf ist ne Blinddarmentzündung);
- auf kognitiver Ebene helfen Stress von Krankheit zu unterscheiden und außerdem Stressbewältigungsstrategien lehren;
- dabei helfen die Wahrnehmung und Bewertung von Krankheitssymptomen und Stress auf eine realistische Ebene zu bringen;
- helfen das eigene Verhalten der Krankheitsgenesung förderlich anzupassen (im Sinne von Schonung kann kontraproduktiv sein);
- helfen neue positive Wahrnehmungen zu machen und Bewertungen von negativen zu verändern (im Sinne von was heißt eigentlich gesund sein, gibt's das überhaupt?).

Neben einer KVT in 20 Sitzungen lernen die Probanden deshalb auch verschiedene Entspannungs- und Ablenkungstechniken.

Die Uni Wuppertal hat da ein bisschen mehr Infos, als Gießen. http://www.kp.uni-wuppertal.de/psychoth ... ncert.html

Vielen lieben Dank für die tolle Antwort!




Dr. Matthias Nagel
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