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Liebes Experten -Team, da ich in der Vergangenheit schon sehr von euren Antworten profitiert habe und sie mir sehr weitergeholfen haben, habe ich nach langen zögern beschlossen noch einmal um Rat zu bitten. Ich versuche mich kurz und bündig zu halten, was gar nicht so einfach ist.

Problem: Seit Jahren habe ich ein schwieriges Verhältnis zu meiner
Mutter und seit ich denken kann, geht sie jeglichem Konflikt aus dem weg. Ich leide sofort unter Schuldgefühlen, konnte nie lange böse auf sie sein und habe immer versucht sie in Schutz zu nehmen. Sie ist selber sehr emotional instabil und war immer so sehr mit sich und ihrem Leben beschäftigt, dass sie mich nie hat wirklich kennenlernen und besonders mir nie den Raum für offene Fragen und Konflikte gelassen hat. Seit einem Jahr ca. reagiere ich zunehmend nur noch mit Wut statt wie sonst mit Trauer und der Reaktion des *kleinen Kindes *was eigentlich die liebe der Mutter sucht. Vor zwei Wochen kam es nun zum erneuten Streit den sie sofort mit auflegen des Telefons beendete. Wie immer konnte ich die Dinge dir mir wichtig sind nicht sagen. Seither haben wir keinen Kontakt mehr und ich leider sehr stark unter unterdrückten Aggressionen. Ich weine sehr viel und habe auch wieder körperliche Probleme. In meiner früheren Therapie wurde mir geraten Briefe an meine Mutter zu schreiben aber sie nicht ab zu schicken. Dies tue ich schon lange aber es hilft mir nur kurz. Ich denke einfach das die Wut und Trauer genau dort hin sollte wo sie hin gehört bekomme dazu aber keinerlei Möglichkeit. Von Tag zu Tag steigert sich meine Wut und Sport und Entspannungsübungen helfen nur kurzfristig. Ich weis, dass ich an einem wichtigen Punkt bin der dringend aufgearbeitet werden muss, damit ich mein Leben weiterhin ändern kann und mich von dem inneren Kleinkind endlich lösen kann. Ich habe das Gefühl an all den ungesagten Dingen zu ersticken und habe alles versucht um es irgendwie anders zu kompensieren. Ich weis, das selbst wenn ich einen der Briefe ihr schicken würde, sie ihn nach zwei Sätzen sowieso weg werfen würde. Ich habe sie öfter angesprochen und sie sagte mir immer nur sie habe keine Lust mit mir zu diskutieren weil es keinen Sinn machen würde. Im Grunde weis ich aber, dass sie Angst hat. Sie selber ist in Therapie und sagt immer, dass sie eben über Dinge nachdenken muss und sich entziehen muss, wenn es ihr zu viel wird. Ich weis, dass ich nicht erwarten kann, dass sie auch etwas ändern will. Aber das wissen lieber die Tochter zu verlieren als sich mal hin zu setzten und zu reden macht mich wirklich traurig. Mittlerweile bin ich an einem Punkt wo ich sie am liebsten einsperren würde um ihr einfach die ganzen Jahre der Trauer und der Zurückweisung an den Kopf zu werfen. Sie und meine Schwester (die wegen dem Streit auch den Kontakt zu mir abgebrochen hat) sind die einzigen Familienangehörigen die ich noch habe, was es noch schwerer macht. In Therapie bin ich zurzeit nicht, habe dieses Thema aber früher schon öfter angesprochen. Primär geht es mir um meine Aggressionen, die ich kaum noch in den Griff bekomme und sie gegen alles um mich und besonders mich selber richte. Ich suche ständig auch die schuld an mir und verfalle in totale Trauer, dann wieder in blanken Hass. Meine Depressionen sind extrem stärker geworden. Was also tun, wenn der eine Mensch bereit ist die Vergangenheit endlich ans Licht zu bringen um zu verarbeiten und der andere völlig blockt. Was tun gegen die ständigen Aggressionen? Wäre über jeden Rat dankbar…

Herzliche Grüße Nicky

03.03.2010 17:01 • 05.03.2010 #1


B
Hallo Nicky,

das ist ein breites und schwieriges Thema, mit denen sehr viele Menschen in ähnlicher Weise konfrontiert sind wie Du.
Es wäre schön, wenn es dafür ein Rezept gäbe oder es nur mit dem richtigen Vorgehen immer eine Lösung zu finden wäre. Die Realität sieht leider aber meist anders aus. Dies vorne weg, damit Du keine unrealistischen Erwartungen hast.

Die wichtigste Frage, die Du Dir stellen solltest, ist m.E. warum ist mir so daran gelegen, etwas mit meiner Mutter zu klären? will ich sie letztendlich nicht zu einer anderen Mutter machen, als sie ist (sie ist so, wie Du sie lange kennst !)? glaube ich nicht auch, dass meine eignen Probleme wie von Zauber verschwunden wären, wenn meine Mutter endlich einsehen würde, wie sie zu dem beigetragen hast, was mich heute belastet?

Und genau dies ist die Illusion. Es ist eine Illusion, weil Du in erster Linie an Deinen eignen inneren Einstellungen und Bildern leidest und nicht an Deiner realen Mutter, auch wenn sie dazu vielleicht einiges beigetragen hat (als Du noch Kind warst !). Heute aber bist Du erwachsen - und der einzige Mensch, der Deine Einstellungen und Bilder noch verändern kann, bist Du selbst. Ihr seid zwei Personen, nicht eine !

Ja vielleicht würde es Dir eine Veränderung erleichtern, wenn Deine Mutter mehr Bereitschaft zur Auseinandersetzung zeigen würde. Aber dann wäre sie wahrscheinlich nicht Deine Mutter. Und sie ist nicht mehr auf der Welt, Dich als erwachsene Frau glücklich zu machen, Deine Wünsche zu erfüllen, auch wenn es manchmal schön wäre.

Die Aufgabe beim Erwachsen werden ist auch, Eltern und die eigene Vergangenheit, akzeptieren zu lernen - als nicht mehr veränderbar. Das mag traurig machen, aber es würde Dich nicht mehr so betroffen machen. So lange Du Wut empfindest und nicht verzeihen kannst, hast Du dies nicht akzeptiert.

Natürlich kannst Du versuchen, mit Deiner Mutter ins Gespräch zu kommen - aber doch nicht mit Ärger und Wut im Bauch. Glaubst Du im Ernst, dass sich ein Mensch einer solchen Konfrontation freiwillig aussetzen wird, wenn er bereits diese Vorwurfshaltung und Feindseligkeit spürt ? Davor schützt er sich natürlich durch Vermeidung - ganz normal. Niemals wollte Deine Mutter Dir schaden, auch wenn sie es vielleicht getan hat, weil sie es nicht besser konnte.

Also ein Gespräch kann nur sinnvoll sein, wenn Du Deine innere Haltung geändert hast ! Natürlich kannst Du ihr einen Brief schreiben, in dem klar wird, warum es Dir so wichtig ist, mit ihr ins Gespräch zu kommen, aber doch nicht, um ihr zu sagen, was für ein beschissener Mensch sie ist (drastisch ausgedrückt). Und ob sie den Brief dann wegwerfen würde, wenn sie nicht gleich Vorwürfe bekommt, glaube ich gar nicht mal. Aber vielleicht funktioniert es ja trotzdem nicht. Und dann? Ein Grund für noch mehr Wut und Hass bei Dir? Kein Akzeptieren und keine Verzeihung bei Dir ? Weil es so einfach ist, sich und andere zu verändern ?

Ich hoffe, Du findest eine Haltung zu Deiner eigenen Lebensgeschichte, die zwar das, was Du in Deiner Bewertung als Leiden empfindest, nicht ausblendet, aber in erster Linie von dem Ziel geprägt ist, nicht so streng und unbarmherzig mit Dir und Deiner Mutter umzugehen, sondern Euch als ganz normale Menschen mit Stärken, aber eben auch vielen Schwächen zu erkennen. Vielleicht kannst Du dann mehr Deiner Lebensgeschichte Frieden schließen, den Menschen, die Dir vielleicht weh getan haben, zu verzeihen und Dich mehr Deiner eigenen Zukunft - trotz dem Rucksack, den jeder mitbekommt - zuzuwenden.

Das wünsche ich Dir von Herzen - manchmal gelingt es besser, manchmal schlechter.

Bernd Remelius[/u]

05.03.2010 14:19 • #2