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Minime
Hallo zusammen,

ich weiß gar nicht so genau ob ich mit meinem Problem im richtigen Unterforum bin. Aber ich hab irgendwie auch nichts anderes gefunden um mich vorzustellen. Und wo ich nun anfangen soll, weiß ich auch nicht so genau.

Also dann, ich bin Minime, 42 Jahre, verheiratet, derzeit Hausfrau. Ich glaube ich war vor ein paar Jahren schon mal hier, mit einer ausgewachsenen Angststörung und Panikattacken. Hatte den Kram damals für fast 20 Jahre und hab überall nur tja, chronisch, leb damit gehört. Mein letzter Therapeut hat mich zum Glück dazu ermutigt ein letztes Mal zu kämpfen. Und siehe da, er hatte Recht. Unter der Angst versteckt lag offenbar ein ganzer, riesiger Haufen Wut. Offenbar hatte ich das Gefühl so lange erfolgreich unterdrückt, dass es sich in der Panik Bahn gebrochen hat. Also hat sich die Therapie darauf konzentriert. Ich bin zu der Zeit bei jeder noch so kleinen Kleinigkeit gleich an die Decke.

Doof nur, dass ich erkennen musste, dass ich mir alles bieten lasse, mich von jedem Rund machen lasse, und statt da mal deutlich zu werden, zuhause vor mich hintobe und schimpfe und wieder neue Wut anstaue. Von narzisstischen Eltern dazu erzogen immer allen gefallen zu müssen, hatte ich keine Ahnung wie man nein sagt, oder auch sonst für sich einsteht. Immer das gleiche Muster, ja sagen, allen gefallen wollen, sich absolut unwohl in seiner Haut fühlen, Angst vor dem nächsten verbalen Angriff und im stillen Kämmerlein toben wie sonst was.

Das erste nein das erste Mal für sich einstehen, war echt eine Herausforderung. Weiche Knie, Herzrasen, und das Gefühl gleich kommt sie, die verhasste Panik. Die Tage waren echt scheußlich. Und noch etwas musste ich feststellen; das kommt nicht zwingend bei allen gut an. In meinem alten Freundeskreis auf jeden Fall nicht. Es waren nur wenige Freunde und ich musste mir eingestehen, dass ich mich seit geraumer Zeit da nicht mehr richtig wohl gefühlt habe. Treffen waren eher ein Anlass zu schlaflosen Nächten, als zur Freude. Aber ich hab es mir schöngeredet. Und ich konnte die ewigen spitzen Bemerkungen nicht mehr ertragen. Klar, früher konnte man sein Ego an mir aufpolieren, später eher nicht mehr. Ich habe nach einem missglückten Klärungsversuch einen radikalen Schlussstrich gezogen und bin fertig mit den sogenannten alten Freunden. Auf der einen Seite bin ich irgendwie erleichtert, auf der anderen Seite tobt ein wenig das wohl erzogene Mädchen, dass immer allen gefallen muss, nur nicht sich selbst.

Ich versuche das als eine Art Neuanfang zu sehen. Mein Problem ist nur, ich scheine Menschen zu meiden wie sonst was. An schlechten Tage, reicht es schon, dass mir jemand entgegen gelaufen kommt und ich wittere wieder einen verbalen Angriff. Dazu muss ich wohl erklären, dass man mit einem großen Hund an der Leine, schon sehr seltsame Exemplare an Menschen kennen lernt, völlig unfreiwillig versteht sich.

Es überwiegen aber, wenn ich mal so in mich gehe, die neutralen oder erfreulichen Begegnungen. Und da wird es dann leider richtig kompliziert für mich. Ich bleibe mal beim Thema Hund, weil ich ohne jeglichem Kontakt höchst erfolgreich ausweiche. Ich zwinge mich immerhin, meinem Wauz erfreuliche Hundebegegnungen zu verschaffen, und an den Vierbeinern hängt zu meinem großen Stress ja auch immer ein Zweibeiner Es läuft also irgendwie immer gleich ab; ich treffe auf neue Menschen, ein Gespräch kommt irgendwie zu stande, bei mir bricht der Stress aus. Man trifft sich erneut zufällt, Gespräch, Stess. Ich hab das Gefühl gar keine echte Konzentration mehr für das Gespräch aufzubringen. Was wenn ich was falsches sage, die merken, dass ich eigentlich doch irgendwie doof bin, irgendwas am Hund zu nörgeln haben, befinden dass Hund nicht perfekt ist. usw. Dabei hab ich nie behauptet, Hund sei perfekt, aber für halbwegs gut erzogen halte ich sie schon. Nun, und ab da renne ich vor weiteren Treffen von dannen. Gleiches Spiel bei Hundeschulen und Vereinen, egal wie gut es mir am Anfang gefallen mag, und wie gerne ich tatsächlich da trainieren möchte, ich gehe irgendwann rennen.

Passend zu einem Neuanfang habe ich ein Probetraining für Hund und mich vereinbart. Fällt im Moment natürlich flach und wurde verschoben. Also mehr Zeit für mich mir wieder mal Horrorgedanken zu machen. Einerseits würde ich mich so freuen da mitzumachen, die Frau klang am Telefon sehr nett, die Bilder und Videos auf ihrer Seite gefallen mir gut. Und auf die Rasseeigenheiten meines Vierbeiners hatte sie eine erfrischend humorige Sicht. Andererseits könnte ich alleine bei dem Gedanken schreiend davonlaufen, will nicht hin, was wenn es nicht passt. Was wenn die mir sagt, ich sei völlig unfähig? Ja Donnerwetter, deshalb ja Probetraining. Wie kann man gleichzeitig etwas so dringend wollen und so eine Schissbuxe sein.

Vielen Dank fürs lesen, an alle die sich bin hier hin durchgequält haben. Ich frage mich, ob das seine soziale Phobie ist oder ob ich über die vielen Jahre einfach mal den Umgang mit Menschen verlernt habe?

LG
Minime

18.03.2020 10:40 • 28.05.2020 x 3 #1


11 Antworten ↓


4_0_4
Hallo,

für eine Soziale Phobie würde ich das nicht halten. Aber ich bin ja auch kein Doc.

Was mir so an Gedanken in den Kopf kam, war z.B. ein Thema schönreden. Kinder welche suboptimale Eltern hatten, sympatisieren instinktiv trotzedem mit den Eltern, weil sie von Ihnen abhängig fühlen, bzw. abhängig sind. Dieses Verhalten verbleibt dann gerne mal Jahrzente in einem erhalten und aktiv.
Das ist ein mögliches Szenario für das Schönreden.

Ich vermute das deine Eltern deine persönliche Grenze des Öfteren überschritten haben. So was kann ein Kind traumatisieren.
Bei dem Thema Grenzen setzen, geht es nicht nur darum sie zu setzen, sondern um weitaus mehr.
Es fängt mit den Fragen an Was will ich und was nicht? und Was tut mir gut und was nicht?.
Klar tut man parallel auch lernen die Grenzen die man bei sich kennt zu bewahren, aber das andere ist ebenso wichtig. Denn wie willst Du Grenzübertritte verhindern, wenn Du die Grenzen nicht kennst oder für dich definieren kannst?
Und glaube mir, Du kennst sicher die eine oder andere Grenze nicht, was dann halt dein Unterbewusstsein und auch dein Angstzentrum in Stress versetzen kann. Was Du bewusst wahrnimmst kann was ganz anderes sein, was deine Amygdala sieht.
Und so lange diese dir nicht vertraut dass Du dich vor Schaden bewahren kannst, versucht sie dich mit Angst, Panik, Fluchtimpulsen, Abwehrreaktionen und Somatisierungen daran zu hindern etwas dummes zu tun.

Grenzen können sein:

- Betreten von persönlichen Bereichen wie der Wohnung, dem Auto
- Abstand zu anderen Menschen oder gar das anfassen.
- Die Art, Lautstärke, Tonfall und Inhalt wie andere mit dir sprechen
- Scherze, Erschrecken
- Einhalten von Vereinbarungen
- Missbrauch von Vertrauen
- Benutzung, Misshandlung, Zerstörung von Eigentum
Die Liste geht noch sehr viel weiter.

Zu erkennen was ungünstig für einen ist, kann durchaus eine Herausforderung sein. Und zwar aus dem Grund weil man als Kind unter Umständen keine Grenzen haben durfte. Somit hat das Kind vielleicht das Was will ich nicht aber nicht was will ich gelernt.

Es ist super das Du deine Grenzen die Du kennst so derart konsequent durchgezogen hast. Was deine Freunde angeht - es sind keine, wenn sie deine Grenzen nicht respektieren. Klar wenn Du sie restriktierst, können sie sich weggestoßen fühlen. Aber da sollten sie sich selber auch mal fragen warum Du nun so bist. MEnschen sind oft sehr schamlos im Umgang von Grenzen.
Und ganz ehrlich - solche Freunde braucht man nicht. Oder krasser ausgedrückt - Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
Viele Freunde habe ich nicht im Vergleich zu anderen. Aber das sind wenigstens Menschen die mich und meine Grenzen respektieren und wo auch Fehler ausgesprochen und ausdiskutiert werden.

Und ganz ehrlich . Du kannst echt stolz auf das sein was Du bisher erreicht hast.

Trotz allem hilft es dir wenig, wenn Du dich selbst dafür geißelst. Beispielsweise programmierst du dich damit ungünstig, wenn Du dich über dich selbst aufregst und als Schissbuxe betietelst.
Stell dir die Frage ob Du das genau so zu einem lieben Freund/einer Freundin sagen würdest.

Bin einfach mal so frei und würde behaupten das du das niemals tun würdest.

Du hast genug Menschen in deinem Leben getroffen die ungünstig mit dir umgegangen sind. Da ist es nicht notwendig sich selbst da noch einen draufzusetzen.

Versuche immer und immer wieder zu schauen wie Du mit dir umgehst und passe dein Verhalten dir gegenüber an.
Denn man sollte sich selbst der beste und liebste Freund sein.

18.03.2020 11:59 • x 6 #2


A


Habe ich den Umgang mit Menschen verlernt?

x 3


Minime
Vielen lieben Dank für deine sehr ausführliche Antwort, cube_melon,

es ist sowas von passend und auf den Punkt, ich kann es kaum glauben. Ich habe tatsächlich Schwierigkeiten damit meine Grenzen zu erkennen und einzuschätzen. Oft fällt mir nachher erst ein, dass ich mich mal wieder habe mies behandeln lassen und gewohnheitsgemäß einfach nur dastand. Und manchmal geh ich bei den kleinsten Anzeichen völlig ohne Grund in eine Abwehrhaltung, die irgendwie schon fast übertrieben ist. Ich kann es schwer beschreiben. Als müsste ich gleich mal klarmachen, mich kann man nicht mehr so behandeln.

So komisch es auch klingen mag, Grenzen verteidigen und sich in Selbstachtung üben ist wie das erste mal LKW fahren, sperrig, zu groß, passt nicht.....tausend Gelegenheiten anzuecken, aber PS unter der Haube. Und überhaupt, diese Gänge....

Tja, was soll ich sagen, meine Amygdala und ich. Wir hatten unsere Differenzen in den letzten Jahren. Leider ein verdammt mächtiges kleines Etwas. Und trotzdem hatte sie irgendwie Recht, ich habe mich mies behandelt und anderen die Gelegenheit dazu gegeben. Ich muss wirklich erst wieder lernen mir selbst zu vertrauen, dass ich in der Lage bin Schaden von mir abzuwenden. Komischerweise ist der ganze Denkprozess bei mir erst durch meinen Hund richtig in Gang gekommen. Der zog, mach Ermunterung durch meinen Therapeuten, vor ein paar Jahren hier ein. Ich hatte immer den Traum von genau diesem Hund und habe mich in den schlimmsten Panikzeiten damit über Wasser gehalten.

Da war es nun, das wollige kleine Etwas, dass irgendwie meinen Schutz erwartet hat. Und den auch verdient hat, bedingungslos. Jedes Mal, wenn ich Hund vor irgendwas schützen musste, bin ich gefühlt durch die Hölle gelatscht. Aber ich konnte den Zwerg ja nicht hängen lassen. Da hatten wir halb gewalttätige Hundetrainer, die mir einen ungehorsamen Beisser vorhersagten, wenn ich den Welpen nicht mit einer Kette würgend durch die Gegend zerre, andere Hunde, Leute, die meinten sie könnten Wauz auf der Straße einfach mal anbrüllen. Das volle Programm. Und irgendwie war da schon fast eine Besessenheit von einem Gedanken, ich bin nicht die Art Hundehalter, wie meine Eltern eben Eltern waren.

Die haben es geschafft, dass im Grunde jeder das Kind nach belieben anschreien durfte. Ich bekam im Grundschulalter von Nachbarn zu hören, was ich doch für ein hässliches Kind sei. Man wüsste gar nicht ob ich Mädchen oder Junge wäre. Mutter stimmte zu, man kann ja unmöglich den Nachbarn widersprechen. Sind ja respektable Leute. Da muss man nett sein, und denen im Urlaub auch noch die Blumen gießen. Wie ich mich dabei gefühlt habe, könnt ihr euch denken. Einmal habe ich es gewagt einfach weiter zu gehen und besagte Nachbarn grußlos stehen zu lassen. Der Einlauf den ich hinterher bekommen habe, war episch. Ich hätte ältere Leute zu respektieren.

Und da wären wir schon bei den persönlichen Grenzen. Dazu nur die Highlights meines spannenden Familienlebens: Heimlich einen Schlüssel für meine Wohnung besorgt, während meiner Abwesenheit mir unbekannte Verwandtschaft da wohnen lassen. Alles abstreiten aber mich zusammenbrüllen, ich hätte ja ruhig mal etwas besser aufräumen können.

Meinen Wagen einfach haben wollen, nicht etwa fragen ob man sich den ausleihen kann. Nein, einfach mal die Kiste kapern, weil die heilige Familienkutsche dreckig hätte werden können. Nachdem das nicht mehr möglich war, wurde der Lack verkratzt, Antenne abgebrochen und zu guter Letzt wurden die Radschrauben gelöst.

Den Wagen haben die ohnehin gehasst, er war eine Art Freiheit für mich. Die haben es glatt geschafft, mir mal von zu Hause bis nach Köln nachzufahren, nur um zu wissen, was ich da treiben könnte. Nun hauptsächlich hab ich mich auf den Ringen verfahren, und die wohl dabei abgehängt. Sonst hätte es sicher keinen Ärger fürs Rumtreiben am Bahnhof gegeben, sondern dafür, dass es einen Mann in meinem Leben gab und heute noch gibt. Ein Parkplatz am Hbf Köln, nicht zu finden und unbezahlbar...

Anbrüllen war der übliche Tonfall bei meinem Vater. Ich wurde sogar dafür angebrüllt, dass sich die Nachbarn über das Gebrüll beschwert haben. Dann aber nur noch in meinem Zimmer, was sollen sonst die Nachbarn von uns denken.

Zimmerdurchsuchungen waren an der Tagesordnung. Tagebuch schreiben hab ich mir sehr, sehr früh abgewöhnt. Aber selbst ein in der Jackentasche gefundenes Schokoriegelpapier reicht für die nächste Brüllorgie. Das Kind ist schließlich zu fett...von wegen, 164cm unter 50 kg. Aber so konnte man wunderbar rechtfertigen, warum ich nur sackartige Klamotten tragen durfte. Kind einfach zu fett. Ihr dürft drei mal raten, mit welchem psychischen Problem ich wohl vor der Panik angefangen habe. Ich denke es dürfte klar sein, warum das Maß an Wut, dass sich bei mir aufgestaut hat, ewig brauchte um zu verrauchen. Aber inzwischen ist der Kontakt abgebrochen, gelegentlich meldet sich mein Erzeuger noch bei der Familie meines Mannes um zu verkünden, es habe sich nicht gelohnt ein Kind in die Welt zu setzen, grässlich undankbare Kreatur, ich pflege ihn nicht, Enkel hat er auch keine vorzuweisen und mit der großen Karriere ist auch Essig. Was sollen denn die Nachbarn denken. Kaum zu glauben, dass ich den Kontakt erst mit Anfang 30 abgebrochen haben. Geduldig scheine ich ja zu sein....

Du hast vollkommen Recht, oft vergesse ich im Alltag, mit mir selbst in einem ordentlichen Tonfall zu sprechen, und glaub mir, die Schissbuxe, war eine höchst foren- und öffentlichkeitstaugliche Formulierung. Das geht sonst anders. Vielen Dank für den Hinweis, ich hatte das schon wieder aus den Augen verloren.

Es ist auch nicht ganz leicht, stolz auf mich zu sein. Man weiß ja, Eigenlob stinkt, und man sollte stets Dankbarkeit für die Eltern empfinden. Noch ein Punkt auf der zu lernen Liste....

LG
Minime

18.03.2020 13:29 • x 3 #3


4_0_4
Danke für die ausführliche Antwort. Denke deswegen das man stellenweise wegen der Umschreibungen lachen müsste, wäre einem nicht tendenziell zum heulen dabei.

Das mit dem LKW, ja die Metapher ist gut.

Wenn ich das alles aufschlüsseln würde, könnte ich dir Seitenweise erklären was das für psychische Auswirkungen haben kann.
Auch wenn das nun hart klingen mag. Aber global gesehen ist das erst einmal unwichtig, bzw. andere Dinge haben eine höhere Priorität. Auch will ich dir hier keine Flusen in den Kopf setzen, wo es noch nicht an der Zeit ist.

Wichtig ist - und das ist das wo Du stolz auf dich sein kannst - das Du dich da aus diesem Umfeld entfernt hast. Weil toxisch ist noch zu milde ausgedrüclkt.

Es ist halt gut wenn man immer mal wieder innehält und eine Bestandsaufnahme macht. Wo stehe ich? wo will ich hin? was kann ich verbessern?

Das alles was ich dir beschrieben habe ist der Umgang mit dem hier und jetzt. Ob und in wie weit Du die Traumata aus deiner Kindheit auflösen willst ist eine ganz andere Geschichte. Wobei auch der ´Zeitpunkt gut überlegt sein will.

- Sich aus der Situation nehmen.
- Schutz, Grenzen aufbauen. Kontakt mit dem Inneren Kind was die Traumata erlebt hat aufnehmen.
- Ein soziales Umfeld und einen Ressourcenhaushalt erarbeiten.

Was ich dir gerne mit auf den Weg geben würde ist eine Metapher die etwas mit Vermeidungsverhalten und Blockaden zu tun hat und ein Trick wie man große Dinge besser überwinden kann.

Stell dir einen Fluss vor. Er hat nahe an der Quelle noch den ursprünglichen, kurvigen Verlauf und fließt langsam und ruhig. Du bist mit einem Ruderboot auf ihm. Es ist warm, die Sonne scheint. Du fühlst dich sicher und geborgen.
Da der Fluss langsam fließt benötigst Du kaum Kraft um dein Boot in dem Bereich zu halten. Also beginnst Du das alles zu genießen. Dabei vergisst Du aber zu Rudern und das Boot treibt etwas den Fluss hinunter.

Hier ist der Fluss inzwischen größer und hat somit eine höhere Fließgeschwindigkeit. Du benötigst nun mehr Kraft um das Boot hier zu halten und noch mehr um wieder in den oberern, ruhigeren Bereich der Auen zu kommen.

Weil das so anstrengend ist, hältst Du nur deine Position. Als Du mal eine Pause brauchst treibt das Boot weiter ab. Noch mehr Kraft wird benötigt um es dort zuhalten.

Nun beginnst Du sehr lange und sehr hart zu rudern. Du schaffst es schließlich wieder in die Auen. Aber die Kraft die Du in der Zeit benötigt hast, ist ein vielfaches dessen, was Du benötigt hättest, wenn Du konsequent und kontinuierlich gerudert hättest.

Mit dieser Metapher will ich ausdrücken das die Psyche gerne mal sich vor Schmerzen schützen will und Blockaden aufbaut. Anfangs sind diese gering, was sich aber auch schnell poten zieren kann.
Auf diese Art und Weise ist es möglich den Zugang zu wichtigen Ressourcen zu verlieren und die Wiedererschließung ist weitaus aufwendiger, als wenn man leicht und stetig daran arbeitet.

Das Andere was ich meine ist das Aufsplitten von großen Aufgaben in so viele kleine, das man in der Lage ist diese auch zu schaffen. Ich nenne das Splitten von Aufgaben um niederschwellige Schritte auszuarbeiten.
So ziemlich jede Aufgabe, die für uns wie das Überqueren eines Himalaya-Gebirgszuges wirkt, kann man in kleinste Teilabschnitte splitten. Man priorisiert dann diese und geht los. Durch kleine, niederschwellige Abschnitte, auf die man sich fokussiert, erreicht man das man nicht mehr das Gefühl hat vom Gesamtziel erschlagen zu werden. Durch kleine Teilerfolge kann man sich motivieren und sein Selbstvertrauen stärken. Die Reise wird zum Ziel.

Priorisieren und splitten halte ich echt für hilfreich.

18.03.2020 14:06 • x 2 #4


Minime
Vielen Dank noch mal. Tjo ohne ein wenig Humor, war es schwer zu ertragen das niederzuschreiben. Das Aufsplitten ist mir bekannt. Hat mir im Umgang mit mir während der Panik gute Dienste geleistet. Da kann das Hirn ja leider nur winzige Minischritte.

Mit dem inneren Kind zu arbeiten habe ich in der Therapie probiert und mehrfach selbst mithilfe von Büchern und Videos. Es ist fast unmöglich da einen Zugang zu finden. Ich bin mir sicher, dass das eine echte Lösung bieten könnte. Ich schleiche immer mal wieder um diese Methode herum. Das innere Kind von damals annehmen und trösten, es zumindest heute in seinen Ängsten und Nöten zu unterstützen, klingt alles toll. Aber ich stoße da wirklich an meine Grenzen. Es ist wie vernagelt. Alleine bei der Vorstellung von diesem Kind, kommt nichts weiter als Sarkasmus. Ich schäme mich durchaus dafür, aber alleine bei dem Gedanken an dieses Kind kommt eher na da ist ja Mamas Liebling, warst du auch brav, hast du auch fein alles richtig gemacht. Tröstliches Verständnis sieht anders aus.

Auch wenn ich heute, vom Verstand her durchaus weiß, dass ich als Kind nicht anders handeln konnte, ist und bleibt das ein schwieriges Thema. Ich wünschte einfach ich könnte sagen ich habe mich gewehrt, war bockig, schwierig, habe die als Jugendliche an den Rand der Verzweiflung pubertiert und mich kaum volljährig gleich mal aus dem Staub gemacht. Nichts davon trifft zu, ich war ruhig, hab versucht die zufrieden zu stellen und gedacht, ich könnte den Familienfrieden irgendwer herstellen, wenn ich mich nur noch mehr anpasse. Ich muss nur irgendwie besser werden, perfekter, dann vertrauen die mir genug um mich ein normales Leben leben zu lassen. Ich hätte nicht weiter daneben liegen können. Ich werde mich da sicher noch einmal mit beschäftigen, irgendwann bin ich vielleicht bereit.

Das Bild vom Fluss ist wirklich gut. Also dann, die Pause ist vorbei. An die Ruder....

Vielen Dank für die großartigen Anregungen

LG
Minime

18.03.2020 14:54 • #5


4_0_4
Das das ohne Humor schwerer ist, kann ich voll verstehen. Zum lesen ist es dann auch einfacher

Über das innere Kind gibt es ja unzählige Bücher und digitale Medien.
Vom Wissen her komme ich aus der Ecke PTBS, KPTBS,, Traumatisierungen.

Nicht jeder muss einen emotionalen Zugang zu Techniken und Therapieformen haben. Jedem kann etwas anderes helfen.

Das mit dem inneren Kind habe ich von einer Top Traumatherapeutin gelernt. PITT nach (Louise Reddemann).
Sagt dir das etrwas?

Das innere Kind hat verschiedene Bereiche. Da wären imaginäre Helfer, sicherer Ort, Kind versorgen, Situationen mit Unterstützung der imaginären Helfern auflösen. Parallel dazu gibt es auch so Bereiche wie Tresorübungen, Transformation (Rollentausch), Traumreise.

Das was Du beschreibst mit Sarkasmus und innerem Kind ist kein Wunder bei dem was Du erlebt hast. Das ging mir Anfangs vermutlich ähnlich. Es hat sehr sehr lange gedauert bis ich Zugang zu diesem Teil bekam. Heute ist es mein wichtigster Skill im Umgang mit meiner KPTBS. Ohne dem wäre es vermutlich düster.

Sich eine imaginäre Welt im Kopf zu erarbeiten kann Anfangs eine Herausforderung sein. Beispielsweise habe ich glaube drei meiner Helfer wieder verworfen. Als ich den ersten, sicheren Ort in meinem Kopf nach meinen Vorstellungen aufgebaut habe, waren viele Bereiche schwarz oder grau. Es war mir nicht möglich dort z.b. den fehlenden Rasen einzufügen. Es war ein Flickwerk mit einem Schwarz, was an Michael Ende's Die unendliche 'Geschíchte erinnerte.

Du hast als Kind versucht emotional und vermutlich auch körperlich zuu überleben. Ich denke Du hast das gut gemacht, denn sonst würden wir dieses Gespräch hier nicht führen. Nur scheint dein inneres Kind evtl. anderer Meinung zu sein.
Auch möglich das Du Täter-Inrojekte hast. Dies vom dem inneren Kind abzugrenzen ist auch etwas, was man lernen kann.

18.03.2020 18:21 • x 2 #6


Minime
Oh man vielen lieben Dank für deine Zeit und deine Mühe! Das ist ja echt geballtes Wissen. Ich werde mich noch mal in all das einlesen müssen. Wirklich unglaublicher Input.

18.03.2020 18:45 • #7


4_0_4
Danke und gern geschehen.

Menschen mit psychischem Handicap haben halt nicht wirklich eine Lobby in Deutschland. Daher sollte man sich ab und an gegenseitig unterstützen.

Wünsche Dir viel Erfolg auf deinem weiterem Weg =:o)

18.03.2020 22:15 • #8


Minime
Huhu nochmal,

hab mich jetzt ein wenig bei Luise Reddemann eingelesen. Ihre Methode spricht mich wirklich an. Bin besonders bei Imagination als heilsame Kraft hängen geblieben. Erstaunlicher Weise reagier ich bei ihrem Buch viel weniger mit Abwehr und Sarkasmus als bei den Büchern die ich vorher zu dem Thema gelesen habe. Ich denke dass ich da was gefunden habe, an dem es sich zu arbeiten lohnt.

LG
Minime

30.03.2020 08:49 • x 1 #9


4_0_4
Das freut mich sehr zu hören. Vor allen Dingen das Du auch emotionalen Zugang dazu hast. Ohne geht es halt nicht, wie Du selber schon in der Vergangenheit gesehen hast.

Falls Du weitere Fragen hast, fühl dich frei sie zu stellen. : )

30.03.2020 10:34 • x 1 #10


C
Liebe Minime

Das ist ja wirklich eine heftige Geschichte. Ich habe noch nicht alles gelesen, aber genug um auch was beitragen zu können.
Das mit dem Stress bei Begegnungen mit anderen Menschen kenne ich auch nur zu gut. Ich habe zwar langsam nicht mehr so das arge Problem irgendwie gefallen zu müssen, dennoch umgehe ich Menschen noch immer gerne, ich wittere Gefahr, sobald sie anfangen mir etwas zu erzählen. Ich habe auch einen Hund und bin dadurch natürlich oft draussen unterwegs (und immer am besten weit weg von anderen, dennoch lasse ich kontakt für meinen Hund zu- vorausgesetzt er passt)

Ich kenne das nur zu gut, dieses Misstrauen, wie du es beschreibst in deinen Hundetrainier. Ich habe Misstrauen in absolut jeden, auch wenn ich weiss, dass ich kein Misstrauen haben müsste.

Ich glaube du bist eine sehr gute, beschützende Hundehalterin, die alöes tut, damit es ihrem Schützling gut geht. Allein dass du deine Eltern so analysiert hast (was ungeheuer schmerzvoll ist) und du aus den Fehlern die sie bei dir gemacht haben selbst besser machen möchtest, das spricht schon sehe für dich. Jetzt denke an das was du möchtest.

Was dagegen so richtig hilft, ausser Professionelle Therapie (ein richtiger profi und keine Quacksalber) und selbstherapie
Habe ich leider auch noch nicht zur Gänze rausgefunden- aber es hilft auf sich zu schauen- weniger auf die anderen. Freundlich sein, aber dabei an sich denken.

Auch durch nicht defensive Sätze seine Grenzen setzen. ZB auf (achtung beispiel:) ,,der hund ist aber dürr! Füttern sie ihn nicht regelmässig?
Antwort: ,,das ist ihre meinung. Mein hund ist gesund und das ist die hauptsache. Einen schönen tag noch.

Keine diskussionen eingehen oder fragen beantworten, die den anderen nichts angehen. Ich erzähle dann auch gern mal quatsch, wenns mir zu weit geht

Tröste das innere Kind, das früher nicht gut behandelt wurde.

27.05.2020 22:16 • x 1 #11


Entwickler
Ich lasse nur Menschen an mich ran, die mir keine Energie entziehen wollen. Ich bin nicht der Typ, der Menschen anzieht, und selbst wenn, würde ich es schnell merken, wenn sie nur irgendein Interesse an mir haben.

Das beste Beispiel war ein Pfarrer, der 18 Jahre jünger als ich ist, und den ich für intelligent genug hielt, mit mir über Gott und die Welt zu reden. Aber erstens wollen die gar nicht über die Welt reden und zweitens bin ich für den Luft, wenn ich nicht regelmäßig in die Kirche gehe. Sobald ich gemerkt hätte, dass das Interesse an meiner Person unabhängig davon wäre, ob ich in die Kirche gehe oder nicht, hätte ich mich geöffnet. Aber so war das nur Verlogenheit. Menschen, die einmal draußen sind und keine Kontakte haben, ziehen auch keine Menschen mehr an. Genauso wie wenn man krank wird.

Ich will den Umgang mit Menschen gar nicht mehr lernen. Ich habe damit abgeschlossen.

28.05.2020 20:16 • #12


A


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