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Hallo zusammen,

Heute war ein ganz schlimmer Tag. Eigentlich habe ich Urlaub und wollte endlich versuchen herunterzukommen, aber besonders im Urlaub kommen die Ängste noch mehr zum Vorschein.
Ich bin 30 Jahre alt, weiblich und Ingenieurin. Vom Beruf her muss ich immer alle Eventualitäten bedenken. Darin bin ich sehr gut. Der Nachteil, seit 1 Jahr kann ich diesen Analyse-Modus nicht mehr privat abschalten. Alles wird genau durchdacht, immer der worst-case angenommen und dann bleibt immer nur ein Schluss: alles ist gefährlich. Mir macht das Leben gar keinen Spaß mehr.
Ich habe einen liebevollen Freund. Mit meiner Familie lief es hier seit je her schlecht. Finanziell war alles in Ordnung, aber emotional schwierig. Nach außen hin top, innen litten mehrere Familienmitglieder an Depressionen, andere an Unterkühlung. Auf und Abs, mal dachte man, jetzt sei alles in Ordnung, bis zum nächsten tiefen Tief. Als Kind war ich die große Stütze aller Familienmitglieder. Seit 5 Jahren kämpfe ich aber nun selber mit Depressionen. Seit 1 Jahr kommen die Ängste hinzu. Ich denke so viel, ich will nicht mehr denken. Die angstfreien Momente nehmen immer mehr ab. Ich denke, ich will mich auch selbst bestrafen, weil ich mich für einen Versager halte, da ich der Überzeugung bin, dass meine Eltern enttäuscht von mir sind, auch wenn sie dem vehement widersprechen. Aber ich spüre das. Ich habe andere Wertvorstellungen, ich bin Idealist, extrem empathisch und stolz darauf, dass ich mich für andere einsetze, auch wenn es für mich nachteilig sein könnte, ich stehe für meine Mitmenschen ein. Aber das zählt bei meinen Eltern nicht so viel im Vergleich. Dort zählt ein gut geführter Haushalt und Rationalität, was beides nicht meine Staerken sind. Ich weiß, es darf mir mit 30 nicht so viel an deren Anerkennung liegen, tut es aber. Viel liegt hier verborgen und begründet, früher konnte ich das gut ab, jetzt kommt aber nach und nach heraus, dass mich meine Kindheit doch mehr als gedacht geprägt und belastet hat. Versteht mich nicht falsch, sie sind immer für mich da, wenn irgendetwas erledigt werden muss. Aber emotionale Nähe fehlt und diese ist mir sehr wichtig, da sie halt in dieser Welt gibt.
Ich suche nach einem Sinn im Leben, kann aber nüchtern betrachtet keinen finden.
Ach, alles ist so kompliziert und verworren. Ich finde die Lösung nicht und darum bin ich hier. Keiner meiner Angehörigen kann die Schwere meiner Angstzustände verstehen, da sie rational gesehen keine Gefahr vermutlich bergen. Aber niemand von ihnen macht sich die Mühe nicht nur die direkten, sondern auch die indirekten Folgen zu betrachten (das strengt an, ja). Und dann fühle ich mich alleine. Ich wünschte, ich würde nicht automatisch alles immer bis ins Detail analysieren. Ich wünschte, ich müsste z. B. nicht beim Öffnen einer Cornflakes Packung daran denken, ob beim Aufreißen oben Mikroplastik entsteht, die ich dann esse. Oder ständig Angst vor Hepatitis B haben, wo anscheinend schon nicht sichtbare Mengen an Blut zur Ansteckung führen (habe keine Impfung, da ich als Jugendliche gerade bei dieser einen schweren Impfschaden bekommen hatte).
Ohje langer Text... Danke für die Aufnahme in die Community. Liebe Grüße
SimplyLost

19.03.2019 23:37 • 20.03.2019 x 1 #1


5 Antworten ↓


Mondkatze
Hallo SimplyLost

schön, dass Du ins Forum gefunden hast.

Ich habe auch lange den Ausschalter gesucht, der das Denken abstellt.
Mir ist irgendwann klar geworden, dass man das Denken aber nicht abstellen kann. Warum auch?
Der Kopf ist zum Denken da. Ohne Denken könntest Du deinen guten, verantwortungsvollen Job nicht machen.
Was wir aber machen können ist, wenn die Gedankenflut uns wieder mal überrollt, die Gedanken zu lenken.
Versuche mal mit HIlfe von Meditation oder Achtsamkeitsübungen Deine Gedanken in einfach nur wahrzunehmen.
Anleitungen dazu gibt es im Internet zur Genüge. Suche Dir einfach das raus, was für Dich passend ist.

LG
Mondkatze

20.03.2019 01:05 • #2


A


Ständig am analyisieren - alles fühlt sich gefährlich an

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Mondkatze
Zitat von SimplyLost:
Der Nachteil, seit 1 Jahr kann ich diesen Analyse-Modus nicht mehr privat abschalten. Alles wird genau durchdacht, immer der worst-case angenommen und dann bleibt immer nur ein Schluss: alles ist gefährlich. Mir macht das Leben gar keinen Spaß mehr.


Das glaube ich Dir, dass das Leben unter diesem Druck keinen Spaß macht.

Was bringt Dir das denn, wenn Du alles bis ins Detail auseinandertüftelst?
Sicherheit?`
Bestätigung, dass alles nur noch schlecht ist?

Gibt es für Dich auch gute Ergebnisse oder endet es immer damit, dass sowieso alles nur noch gefährlich ist?
Aber alles hat 2 Seiten.
Das Leben ist gefährlich, aber auch wieder nicht.
Das Leben ist schön, manchmal auch wieder nicht.
Ich denke, man kann auch nicht alle Eventualitäten haargenau einplanen. Man kann nie mit 100 prozentiger Sicherheit sagen, wie das Leben verlaufen wird.
Das Leben ist spontan, mal gut, mal schlecht, mal überraschend, mal so wie man es erhofft hat.

Es tut mir leid, dass Du dir selbst so einen Streß machst.

Was machst Du denn wegen der Depressionen und Ängste?

LG
Mondkatze

20.03.2019 01:21 • x 1 #3


S
Liebe Mondkatze,

Herzlichen Dank für deine Antwort. Das bedeutet mir viel. Danke, dass du dir die Zeit genommen hast.

Ich verstehe mich selber nicht, ich bin sehr Facettenreich, vielleicht zu sehr.
Zu deiner Frage, ob immer alles schlecht ist: Zum Glück gibt es auch gute Momente. Ich bin z. B. ein Mensch, der sich über die kleinen Dinge sehr freuen kann. Wenn ich Tiere um mich hab, vergesse ich vieles. Ich freue mich über Blumen, die draußen blühen. Über eine Butterbrezel am Morgen.
Aber dann ist da auch die andere Seite. Gestern war ein schlimmer Tag, Da habe ich nur Angst gehabt. Und konnte nicht mehr klar denken.

Was ich mir dem austüfteln bezwecken will? Gute Frage. Ich denke es ist eine Mischung aus Folgendem: keine Schuld haben wollen, Angst vor Verachtung anderer, wenn ich doch etwas falsch mache, dass ich krank werde, und die Leute (meine Eltern) dann sagen Ja warum hast du denn das auch gemacht, das ist doch klar, dass man das so nicht macht., Kontrolle (ich bin in einer Phase, wo ich gar nicht weiß, wohin mit meinem Leben), vermutlich auch mir bewusst keine Freude zulassen, weil ich unterbewusst denke, ich hätte es nicht verdient (ich weiß gar nicht genau warum), und dann ein großer Punkt: wie soll ich etwas genießen, wenn ich nicht 100 Prozent weiß, dass es nicht gesundheitlich bedenklich ist? Da vergeht mir der Appetit, weil ich das Leben so sehr schätze. Und paradoxerweise will ich auf der anderen Seite gar nicht mehr Leben. Aber ich habe herausgefunden, es ist nicht, das nicht mehr Leben wollen, sondern das SO nicht mehr Leben wollen. Ich will Leben - aber mit einem vernünftigen Maß an Angst.

Früher war das nicht so ausgeprägt. Da gab es eine gewisse Hyperchondrie, wobei man dazu sagen muss, dass ich auch schon ein paar harte gesundheitliche Sachen mitgemacht hab...

Jetzt kommt mir noch ein wichtiger Gedanke. Seit einem Jahr habe ich nun meinen Freund. Und man könnte von außen gesehen sagen, alles ist gut. Am Anfang war es auch noch alles gut.
Ich denke, die Kontrollsucht kommt daher, dass ich Angst habe, loszulassen und glücklich zu sein und dass dann aus heiterem Himmel wieder die schlechte Nachricht über einen hereinbricht. Ich habe oft in meinem Leben gedacht, jetzt wird alles gut, und dann kam wieder was. Und dieses Ungewisse, wann es kommt, macht mich verrückt. Es hält mich vom Leben ab, und genau das setzt ein, wovor ich Angst hatte. Nur weiß ich nicht, wie ich das überwinden kann. Die Angst, aus heiterem Himmel getroffen zu werden, und dann ist der Fall nich härter, als wenn man eh nichts erhofft.
Daher versuche ich jegliche Gefahr zu meiden (wobei Gefahr hier sehr verzerrt ist, ich fahre Auto, ab Umund an Motorrad, etc., wo ich nicht diese Art von Angst verspüre). Angst machen mir die Dinge, deren Langzeitwirkung ich nicht einschätzen kann, nicht primär das akute. Und mit Wahrscheinlichkeiten hab ich es auch nicht. Bin mal an dem Guillan Barre Syndrom erkannt. Da liegt die Wahrscheinlichkeit auch sehr sehr gering. Dennoch hatte ich es bekommen. Also nehme Ich als Maß für mich, dass alles passieren kann. Und wenn ich diese Gedanken fortspinne, bin ich wieder im Panikmodus.

Hm.

Ich hab in den letzten Jahren Citalopram genommen. Ob es geholfen hat, kann ich nicht sagen. Mir ging es mit der Zeit tatsächlich wieder gut und besser. Seit 1 Jahr hab ich es jetzt abgesetzt, weil ich mich gut gefühlt habe. Dann folgte Stress in der Arbeit, ein Umzug, Stress mit den Eltern, und auf ein Mal war mir alles zu viel. Der ganze Haushalt. Freunde pflegen. Die Arbeit. Zeit für sich. Ich bekomme das alles gar nicht mehr unter einen Hut. Ich will das Medikament nicht mehr nehmen, weil ich Angst habe, dann zu denken alles sei gut, und wenn ich es wieder absetze, das ganze von vorne beginnt. Ich habe mit meinem Hausarzt darüber gesprochen.

Eine Therapie hatte ich damals wegen meinen Depressionen angefangen, aber der Therapeut schien eher von mir therapiert zu werden (für andere kann ich eine Stütze sein). Er konnte außerdem meinen komplexen Gedanken nicht folgen. Bei dem Psychiater, wo ich war, und den ich ganz gut fand, kam ich auf die Warteliste - mit der Ansage, es seien mind. 2 Jahre...

Jetzt versuche ich mir selber zu helfen. Hatte mich im Studium einen Philosophie-Kurs belegt, der mir sehr gut tat, da ich gesehen hab, dass die vielen Gedanken, die ich mir zusätzlich z. B. zum Sinn des Lebens mache, sich auch andere machen.

Ich entrümpele gerade zudem mein Leben, miste aus, will mich von Ballast befreien. Ich mache kleine Schritte. In den letzten Tagen ging es aber rückwärts. War auch belastend, da mein Freund seit letzter Woche im Krankenhaus liegt. Zum einen Angst um ihn, zum anderen selber Depressionen und Angst, und dann niemanden zum Umarmen. Alles hat sich aufgeschaukelt. Wenn ich klar denken kann, dann versuche ich zielgerichtet alles anzugehen.
Gestern war mein Hirn wie benebelt, panisch. Und dann geht alles schief. Am Abend die Krönung, dass ich einen Nagellack-Splitter mitgegessen habe, weil ich mit den Händen meine Pizza gegessen hab. Ich hab mich zu Tode aufgeregt. Es geht dann zwischen Trauer, Angst und Selbsthass hin und her. Gleich gegoogelt und Angst bekommen, Was in dem Zeug alles enthalten ist (codecheck). Und da auch: akut ist nichts, aber wer weiß, ob das nicht Langzeitfolgen haben wird? Kann niemand wissen...

Leute von außen würden nie denken, dass ich derart Probleme habe. Und manchmal sind sie auch nicht da. Für diese angstfreien Zeiten bin ich extrem dankbar, aber zur Zeit sind die rar.

Oh man, so viel Text...

Liebe Grüße

20.03.2019 10:30 • x 2 #4


G
Zitat von SimplyLost:
(habe keine Impfung, da ich als Jugendliche gerade bei dieser einen schweren Impfschaden bekommen hatte).

Willkommen im Forum. Wie hat der Impfschaden denn ausgesehen, wenn ich fragen darf?

20.03.2019 10:48 • #5


S
Hallo Glückspilz1,

Das war ein Guillain-Barré-Syndrom. Bei mir wurde aber zum Glück nach ein paar Wochen alles wieder gut.

Liebe Grüße

20.03.2019 11:57 • #6





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