Vor etwa 15 Jahren wurde ich auch mal überfallen und habe noch eine stolze Narbe im Gesicht, die daran erinnert. Zuerst verstärkte das meine ohnehin schon vorhandenen Ängste, weil ich dachte, wenn mir sowas unprovoziert passiert und noch dazu in einer eigentlich sehr ungefährlichen Gegend, muss die Welt wohl noch viel schlimmer sein, als ich bis dato dachte. Heute empfinde ich in erster Linie Mitleid mit dem Täter, weil ich weiß, dass jemand, der sich nur durch Gewalt ausdrücken kann, selbst sehr viel trauriger sein muss, als ich es bin. Es kann immer irgendwas passieren, so ist das Leben halt gestrickt. Aber inzwischen ist mir klar, dass die meisten Menschen ausreichend viel Empathie besitzen, um sowas nicht zu tun und seither begebe ich mich oft ohne Angst in Situationen, in denen ich mich eigentlich nicht effektiv verteidigen könnte. Schon tausende Male und es ist nie wieder was passiert. Das wäre so, wie nie wieder S. zu haben, weil es eine Chance von 0,01% gibt, dass man sich mit HIV ansteckt. Und selbst wenn, wär das Leben dadurch noch lange nicht vorbei. Ich weiß, logik hilft nicht gegen Angst. Letztendlich muss jeder selbst seine Entscheidung treffen, ob er bei der lange vertraut gewordenen Angst bleibt oder sich einen anderen Partner für seine Zukunft sucht. Kann jetzt auch keine genaue Anleitung geben, wie man diesen Prozess vollzieht, aber eine gute Übung ist es, sich Situationen zu stellen, vor denen man immer Angst hatte, denn je öfter man sieht, dass da eigentlich nie was passiert, desto unnötiger wird es mit der Zeit automatisch, Angst zu haben. Z.B. wollte ich mich unterwegs nie zu sehr exponieren, sondern lieber unsichtbar sein. Dann hatte ich Lust, unterwegs zu pfeifen. Zuerst tat ich es nur da, wo mich keiner hören konnte, dann gewöhnte ich mir an, es besonders dann zu tun, wenn man mich hören könnte und nur Monate später war es ganz normal, überall und in jeder Situation zu pfeifen. Und was soll ich sagen... Nicht nur mir gefällt es, sondern es scheint auch hin und wieder die Leute zu inspiriren, dass ich mich das traue. Jedenfalls gab es bisher 0,0 negative Reaktionen, nicht mal ein eindeutiges Augenrollen.
Der Mensch wurde konstruiert, um sich ständig zu verändern. Warum sich also dagegen wehren?
19.01.2018 13:07 •
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