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Gedankengänge die einen verfolgen sind schlimm, ich denke momentan oft an die Zukunft und was sie bringen wird. Mein Bruder ist 67 Jahre alt und lebt bei der Lebenshilfe, er ist Behindert und hat Epilepsie seit seiner frühsten Jugend, ausgelöst durch eine komplizierte Zangengeburt. Er lebte damals mit in der Familie als meine Eltern noch gesund waren, seit 1977 wo meine Mutter starb war er bei der Lebenshilfe in einer Wohngruppe untergebracht.

Es war lange Zeit selber sogar verheiratet aber seine Frau starb im Jahr 2000. Die zwei waren dann und wann mal in Urlaub und sonst war nie viel. Ich selber versuche immer für ihn da sein zu können, hohle ihn an Geburtstagen zu Ostern/Weihnachten oder zwischendurch mal, oder wir fahren ihn besuchen es ist ja auch nicht weit von uns entfernt.

Damals als kleiner Junge war er mit meinen Eltern in Italien in Urlaub gewesen, er hat in all den vielen Jahren immer wieder davon geschwärmt. Vor zwei Jahren versprach ihm einer seiner Betreuer das er mit ihm noch einmal diese Reise nach Italien macht. Nichts daraus geworden weil der Betreuer die Stelle wechselte. Jetzt steht eine erneute Reise an, im kommenden Jahr im Oktober, wieder Italien und es schaut ganz gut aus, neun oder zehn müssen zusammen kommen damit die Reise überhaupt starten kann. Finanziell werde ich selber dafür sorge tragen das alles klappt.

Er freut sich wie ein kleiner Junge darauf, es ist sein größter Wunsch, heute sagte er mir am Telefon dass er dieses Ziel vor seinen Augen hat, danach könne er gehen und sterben. Ich wusste nicht mehr was ich da sagen sollte, ich nahm auf einmal wieder dieses komische Gefühl wahr, ein Gefühl was ich schon öfter hatte wenn ich mich von einer vertrauten Person verabschieden muss, so als habe man eine Vorahnung und steuere darauf zu.

Das macht mich sehr traurig und stellt mich schon wieder vor vollendete Tatsachen die ich nicht beeinflussen kann. Ich habe wieder das Gefühl einfach zu wenig zu tun und schäme mich dafür. Ich möchte weglaufen und weiß aber das dies nicht möglich sein wird. Das Gefühl das wieder eine Trennung ansteht, ein Verlust der im Raum steht. Ich bin einfach durcheinander und mir stehen die Tränen im Auge, ich bin nie auf so etwas vorbereitet und kann mich auch nicht daran gewöhnen das man sich irgendwann trennen muss! Ich wollte es nur einmal niederschreiben mehr nicht.

20.12.2016 21:12 • 23.12.2016 x 1 #1


1 Antwort ↓

R
Es hat mich sehr beeindruckt, was du geschrieben hast. Wenn ich an meinen Bruder denke (51 J. und relativ gesund), dann erinnere ich mich oft an Dinge, die schon lange zurück liegen. Manchmal reden wir über früher und wenn mir Sachen einfallen (habe ein gutes Erinnerungsgedächnis), die er schon längst vergessen hatte, dann zaubert es ihm ein Lachen ins Gesicht.

Seit meiner Depression sehe ich aber auch sehr klar, daß die Kindergeneration erwachsen ist und das uns ein gewisses Alter erreicht hat. Wo ist die Zeit hin und wann wird sie abgelaufen sein? Was sind denn 10 oder 20 Jahre! Ich habe mich mit meinem Bruder überhaupt noch nicht groß gestritten und ich möchte auch, daß es bis ans Ende so bleibt. Das ist eigentlich mein einziger Wunsch.

Ich wünsche dir, daß die Reise in Erfüllung geht und daß die Reise so schön wird, daß dein Bruder davon die Kraft bekommt, noch lange vielen Menschen davon erzählen zu wollen, daß er den Sterbegedanken aufschiebt. Wenn unsere Zeit abgelaufen ist, dann kann nichts es ändern und selten ist man vorbereitet.

23.12.2016 23:44 • x 1 #2





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